Jagd und Gesellschaft

Der unbequeme Spiegel der Jagd: Von Doppelmoral zu konsequenter Verantwortung

Lesezeit: 7 Minuten

In unserer Gesellschaft erfährt Tier wohl erfreulicherweise hohe Zustimmung. Seit 2013 ist der Tierschutz in Österreich als Staatsziel im BVG Nachhaltigkeit verankert (§ 2). Gleichzeitig verschwimmen Herkunft, Haltungsbedingungen und Tötungswege vieler tierischer Produkte hinter anonymen Lieferketten. Diese Spannung zwischen Anspruch und Alltag ist kein Zufall, sondern psychologisch gut beschrieben.

Das Paradox der Tierliebe

Menschen mögen Tiere und gleichzeitig möchten sie tierische Produkte nutzen und Fleisch essen. Um den inneren Konflikt zu reduzieren, verschieben wir oft – bewusst oder unbewusst – unsere Maßstäbe. Das nennt sich kognitive Dissonanz bzw. Meat Paradox. Studien zeigen, dass schon das bloße Essen von Fleisch die moralische Sorge gegenüber Tieren abschwächen kann.

Es gibt unterschiedliche Strategien, mit denen wir diese störende Diskrepanz zwischen Haltung und Handlung zu überwinden versuchen. Wir werten die Moralfähigkeit von Tieren ab („Tiere fühlen nicht wie wir“, mind denial). Wir blenden die Produktion aus und machen sie unsichtbar, etwa indem wir keine Bilder von Schlachthöfen oder Tötungen sehen wollen (dissociation). Wir nutzen Euphemismen, also beschönigende Umschreibungen, die Unangenehmes harmloser klingen lassen und Sachverhalte mildern oder „entemotionalisieren“ (z. B. „Rind“ statt „Kuh“). Wir rechtfertigen über die „4N“ Natural, Normal, Necessary, Nice („das war schon immer so“, „alle machen es“, „ich brauche Protein“, „es schmeckt halt so gut“). Wir lagern Verantwortung aus (moral disengagement), nach dem Motto: „Ich kaufe nur, ich töte nicht.“ Und wir zeigen selektive Empathie, indem wir Haustiere schützen, Nutztiere (und Wildtiere) aber ausblenden.

Jagd als sichtbare Verantwortung

Jagd macht die Tötung transparent und personalisiert sie. Zeit, Ort sowie die handelnde Person werden sichtbar. Damit fällt der Schutzschirm der Distanzierung weg. Die Dissonanz wird dadurch akut spürbar und äußert sich oft als starke Ablehnung. Diese Reaktion erleben wir besonders bei Erlegerbildern ohne Kontext, da solche Darstellungen alle beschriebenen Aspekte vereinen und transportieren.

Jägerinnen und Jäger halten der Gesellschaft somit den Spiegel vor und zeigen offen, was viele nicht sehen möchten, nämlich, dass tierische Ernährung und Nutzung immer Tod voraussetzen.

Und diese Sichtbarkeit erzeugt Reibung. Während industrielle Tötungsprozesse anonymisiert sind, ist Jagd durch die Inszenierung in digitalen Medien zugänglich und präsent geworden. Dazu kommt ein gesellschaftliches Missverständnis, das die Emotionalisierung, die die Jagd bei vielen auslöst, verstärkt: Die Auffassung, Jagd würde aus „Lust am Töten“ betrieben. Aber auch „saubere“ Alternativen sind nicht eindeutig. Globale Leder- und Fleischketten sind hinsichtlich Rückverfolgbarkeit und Transparenz bis heute komplex. Internationale Leitfäden arbeiten seit Jahren daran, Rückverfolgbarkeit bis zum Schlachthof und Farmlevel abzusichern. Flächendeckend erreicht ist das nicht. Luxus- und Premiumlabels investieren in digitale ID und Zertifizierungen, doch vollständige Rückverfolgbarkeit  bleibt in der Breite eine Baustelle. Ergo: Auch der anonyme Tod  ist moralisch nicht automatisch sauberer.

Der Widerspruch ist gesellschaftlich, nicht gruppenspezifisch. Wer Leder, Gelatine, Kollagen, Schmierfette, Farbstoffträger oder medizinische Präparate nutzt, ist Teil einer Kette, an deren Anfang Tierkörper stehen.

Wer Fleisch konsumiert, lagert den Tötungsakt meist aus.

Moralische Verantwortung verschwindet dann hinter Verpackungen, Logistik und anonymisierten Prozessen. In Zuständen der kognitiven Dissonanz sind wir empfänglicher für einfache Feindbilder. Zur Reduktion des inneren Konflikts wird Verantwortung externalisiert.

Moralische Konsistenz statt selektiver Empörung

Jagdkritik ist legitim und notwendig, sie sollte jedoch nach konsistenten Kriterien erfolgen wie Transparenz, Tierwohl, ökologische Wirkung, regionale Wertschöpfung, Lebensmittelhygiene und Rechtstreue und diese Maßstäbe sollten ebenso auf andere Formen tierischer Nutzung angewendet werden.

Es genügt nicht, lediglich „rechtens“ zu handeln, um die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit sicherzustellen. Legitimität entsteht, wenn jagdliches Handeln sichtbar besser ist. Dazu gehört zum einen eine konsequente Ethik. Klar benannte Bejagungsgründe, der Verzicht auf grenzwertige Inszenierungen und eine respektvolle, kontextgebende Bildsprache. Zum anderen braucht es belastbare Praxisstandards wie bleifreie Munition, tierschutzgerechte Methoden, fachlich begründete Hegemaßnahmen sowie eine durchgängige Hygienekette.

Alle diese Anforderungen sind fachlich etabliert und werden von staatlichen Stellen eingefordert und gefördert. Des weiteren ist Transparenz zentral. Wir müssen nachvollziehbar erklären, warum wann welches Stück erlegt wird, etwa im Rahmen von Waldumbau, Seuchenprävention oder zur Bereitstellung regionalen Wildbrets. Transparenz schließt auch den ehrlichen Dialog mit ein. Eine verbindende Kommunikation mit Einblicken in Hege, Monitoring und Verarbeitung reduziert Vorurteile und erhöht Verständnis.

Für einen fairen Diskurs helfen ehrliche Fragen stärker als Empörung.

Woher stammt das Leder an Handtasche, Schuh oder Autositz? Lässt sich die Herkunft lückenlos belegen? Welche Form der Tötung halte ich persönlich für moralisch verantwortbar und warum? Akzeptiere ich Wildbret als regionales, ökologisch günstiges Lebensmittel, sofern es nach hohen Standards gewonnen wird? Wer diese Fragen an sich selbst und an Nichtjäger richtet, kann damit zu einem sachlicheren Diskurs beitragen.

Tatsächlich ist Jagd in Mitteleuropa rechtlich regulierte Nutzung und Pflege einer Kulturlandschaft mit klaren Pflichtenkatalogen, Kontrollen und Prüfungen und sie steht wie jede andere Nutzung auch unter öffentlicher Legitimation. Besonders groß ist die Zustimmung zur Jagd dort, wo gesellschaftlich nachvollziehbare Zwecke benannt sind wie beispielsweise Bestandsregulierung, Seuchenvorbeugung oder -bekämpfung oder Schutz von Wäldern und Weidetieren. Dies belegt eine repräsentative online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey in Auftrag des Deutschen Jagdverbandes.

Gleichzeitig wächst zudem das Natur- und Biodiversitätsbewusstsein. Die Mehrheit nimmt ökologische Probleme sehr deutlich wahr und erwartet verantwortliche und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Genau hier gehört Jagd in den Diskurs, als sichtbare Form der Nutzung, die ihre Ziele transparent begründet, sich an überprüfbaren Standards messen lässt und ihre Legitimation im offenen Dialog mit der Gesellschaft fortlaufend erneuert.

Ein Plädoyer für Ehrlichkeit

Jagd macht sichtbar, was wir gern unsichtbar halten: den Tötungsakt, der jedem Konsum tierischer Produkte vorausgeht.

Vielleicht ist nicht die Jagd das Hauptproblem, sondern unsere Neigung, Unbequemes in Systeme auszulagern, die uns den Anblick ersparen.

Wenn wir die Jagd als Spiegel unserer ambivalenten Mensch-Tier-Beziehung aushalten oder sogar selbstkritisch hineinsehen, gewinnen alle: die Tiere durch klare Standards und ehrliches Verantworten, die Natur durch pragmatische, wissenschaftlich begründete Nutzung und die Gesellschaft durch weniger Doppelmoral und mehr Souveränität im Umgang mit unangenehmen Wahrheiten.

Quellenverzeichnis:

  • Akzeptanz der Jagd (repräsentative Umfragen): DJV-Berichte. jagdverband.de, Deutscher Jagdverband
  • Wildbret – ökologische Einordnung und Sicherheitsaspekte: Bundesinstitut für Risikobewertung 2023. Bundesinstitut für Risikobewertung
  • Leder-Lieferketten & Traceability: UNECE-Leitlinien, Leather Working Group; Trend zur digitalen Produkt-ID. UNECE
  • Bastian, B., Loughnan, S., Haslam, N., & Radke, H. R. M. (2012). Don’t mind meat? The denial of mind to animals used for human consumption. Personality and Social Psychology Bulletin, 38(2), 247–256. _https://doi.org/10.1177/0146167211424291 psy.uq.edu.au
  • Bratanova, B., Loughnan, S., & Bastian, B. (2011). The effect of categorization as food on the perceived moral standing of animals. Appetite, 57(1), 193–196. https://doi.org/10.1016/j.appet.2011.04.020 PubMed
  • Loughnan, S., Haslam, N., & Bastian, B. (2010). The role of meat consumption in the denial of moral status and mind to meat animals. Appetite, 55(1), 156–159. https://doi.org/10.1016/j.appet.2010.05.043 PubMed
  • Piazza, J., Ruby, M. B., Loughnan, S., Luong, M., Kulik, J., Watkins, H. M., & Seigerman, M. (2015). Rationalizing meat consumption: The 4Ns. Appetite, 91, 114–128. https://doi.org/10.1016/j.appet.2015.04.011
  • Republik Österreich. (2013). Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung (BGBl. I Nr. 111/2013, idF BGBl. I Nr. 82/2019). https://www.vetmeduni.ac.at/fileadmin/v/vetrecht/Bundesverfassungsgesetz_Nachhaltigkeit_-_Staatsziel_Tierschutz.pdf Veterinärmediz

Beitragsfoto: Jonathan Kemper via unsplash und Hans via pixabay



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