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Kennt ihr das Pinguin-Prinzip von Harvard Professor John Kotter? Für diejenigen, die keinen Bezug dazu haben, sei es kurz erläutert: eine Pinguinkolonie sitzt auf einer Eisscholle mitten im Meer. Das Eis schmilzt täglich ein kleines Stückchen mehr. Keiner will die Stimmen hören, die davor warnen, dass die eigene Lebensgrundlage in Gefahr ist, weil die Eisscholle immer kleiner wird. Weil niemand die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes erkennt, geht die Kolonie schlußendlich im Meer unter.
Warum ich diese kurze Anekdote erzähle? Weil die Jagd keineswegs eine Garantie für ihre zukünftige Existenzberechtigung gepachtet hat und es viele Jägerinnen und Jäger gibt, die sich dessen nicht bewusst sind. Wir leben und vertreten ein traditionelles Handwerk, das sich im Spannungsfeld zwischen digitaler Transformation und (Re-)Lokalisierung behaupten muss. Dies stellt uns vor große Herausforderungen.
Viele Menschen „fremdeln“ zunehmend mit der immer komplexer und unübersichtlicher werdenden Welt. Sie fühlen sich überfordert von ihrer Schnelllebigkeit und Diversität. Man sehnt sich zurück nach dem Greifbaren und Unmittelbaren wie dem Bauernmarkt um die Ecke oder dem Urban Gardening auf der städtischen Dachterrasse. Unsere physische und biotische Umwelt bekommt wieder einen höheren Stellenwert. Re-Lokalisierung kann als Gegenbewegung zur Globalisierung und Digitalisierung gesehen werden. Im Kern geht es um eine Rückverwurzelung ins Lokale bzw. Regionale. Die Krisen der letzten Jahre haben Schwachstellen schonungslos offengelegt. Wir haben erfahren, wie zerbrechlich Produktionsketten im Kontext der Globalität sind. Uns ist bewusst geworden, dass sich unsere wirtschaftliche Souveränität im zukünftigen globalen Wettbewerb als wichtiger Resilienzfaktor herausstellen könnte.
Die Jagd entspricht als nachhaltige, ressourcenschonende Naturbewirtschaftung und Lebensmittelgewinnung diesem Trend und hat viel anzubieten, was zur Diversifikation und Widerstandsfähigkeit unseres Systems beitragen kann. Der durch die digitale Transformation ausgelöste fundamentale Wandel, der alle Bereiche unseres Lebens durchdringt und die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und Wirkens neu definiert, stellt allerdings alle bisher erprobten und bewährten Regeln auf den Kopf.
Die Jagd in der VUCA-Welt
Wenn wir von der Jagd im digitalen Zeitalter sprechen, dann denken die meisten an technologische Tools wie Nachtsichttechnik oder Apps, die das jagdlichen Handwerk erleichtern sollen. Der Themenkomplex umfasst aber viel mehr und bezieht sich auf unser gesamtes Umfeld. Die sogenannte VUCA-Welt definiert neue Rahmenbedingungen, in denen wir uns als Jägerschaft behaupten müssen. VUCA steht dabei für die wichtigsten Parameter unserer heutigen Welt: Volatility (= Unbeständigkeit), Uncertainty (= Unsicherheit), Complexity (= Komplexität) und Ambiguity (= Mehrdeutigkeit).
Unbeständig, weil sich unser Umfeld sowie die gesellschaftlichen Wertvorstellungen extrem schnell verändern.
Unsicher, weil sich viele Jägerinnen und Jäger mit den digitalen Herausforderungen überfordert fühlen und Kompetenzen sowie Strategien im Umgang mit den VUCA-Faktoren fehlen.
Komplex, weil Störungen aus allen möglichen Richtungen immer häufiger werden (Politik, Öffentlichkeit, NGOs, Aktivisten etc.).
Mehrdeutig, weil bisher bekannte Konzepte nicht mehr erfolgreich und Ursachen-Wirkungszusammenhänge schwer erkennbar sind.
Das Spannungsfeld zwischen unserem gelebten Brauchtum einerseits und der digitalen Transformation andererseits ist sicherlich eine der größten Aufgaben für uns Jägerinnen und Jäger und verlangt nach neuen Ansätzen im Hinblick auf unsere Kommunikation und Organisation. So wie jedes Unternehmen, jede Institution oder jeder Verein, muss sich auch die Jägerschaft die Frage stellen, wie sie sich in diesem sehr komplexen und hybriden Umfeld aufstellt, so dass sie den großen Aufgaben der Zukunft positiv und proaktiv begegnen kann. Nur wer agil und flexibel agiert, anpassungsfähig ist und einen souveränen und selbstbewussten Umgang mit Veränderungen zeigt, wird überleben können.
Bestehende Strukturen aufbrechen und neue schaffen
Bereits 2019 habe ich in meiner Abschlussarbeit zum Jagdwirt-Studium an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) darauf hingewiesen, dass die starren Strukturen vieler jagdlichen Institutionen nicht kompatibel sind mit der komplexen und vernetzten Welt, in der sie sich bewegen. Der Wandel wird nicht einfach unbemerkt an uns vorbeiziehen, sondern er schreitet unaufhaltsam und mit großer Geschwindigkeit voran und führt zu radikalen Veränderungen. Die nächsten Jahre werden zeigen, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieses Transformationsprozesses gehören wird.
Wir haben die Wahl: Entweder sind wir beobachtende und passive Zaungäste oder wir werden zu aktiven Playern auf dem Spielfeld, die die Taktik und Strategie mitbestimmen und mitgestalten. Unbestritten ist, dass wir viel mehr Kollaboration, Neugierde auf das Unentdeckte, Agilität und Flexibilität sowie interdisziplinäres Arbeiten und Denken brauchen. Das aufreibende Gegeneinander war gestern, heute zählen konstruktive Allianzen und Verbindungen, die eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz genießen. Unser Umfeld ist derart schnelllebig und volatil geworden, dass die Überlebenschancen für ein schwerfälliges und träges Gebilde darin sehr bescheiden sind.
Gefragt sind kooperative, motivierende oder partizipative Organisationsmodelle, die eine echte Teilhabe und Mitbestimmung innerhalb der Jägerschaft ermöglichen. Wir müssen Denk-Freiräume und Handelsspielräume schaffen und uns auch mit denjenigen Themen beschäftigen, die viele lieber unangetastet lassen würden. Eine vertrauensbasierte, partnerschaftliche Kooperation in einem sich selbst regulierenden System braucht wenig bis keine Hierarchien. Dies kann gelingen, wenn wir eine starke, gemeinsame Vision und inspirierende Impulsgeber haben.
Neben den herkömmlichen, traditionellen Strukturen sollten wir uns mit einer zukunftsgerichteten Organisationsentwicklung auseinandersetzen. Diese könnte folgende Ziele verfolgen:
- Förderung des Wissenstransfers zur Überwindung der intergenerationalen Kluft
- Partizipativer Ansatz
- Demokratisierung von Wissen: Cloud Lösungen für Wissensdatenbanken basierend auf Kooperationen und engem Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen aus den Bereichen Jagdwirtschaft und Wildökologie
- Organisationseinheiten, die sich außerhalb der klassischen Strukturen mit Zukunftsvisionen und Entwicklungsmöglichkeiten beschäftigen (auch virtueller Aufbau möglich)
- Kollaborationsräume für die Jägerschaft einrichten (analog und digital): online Forum, Blog, Projekträume etc.
- Digitale Austausch- und Inforäume für die Kommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit
- etc.
Die jagdlichen Institutionen sollten mit gutem Beispiel vorangehen und die Art und Weise der Kommunikation immer wieder überdenken und ggfs. anpassen. Ich habe leider den Eindruck, dass sie teilweise ihre Verbindung zur Basis verloren haben. Das ist tragisch und sollte Grund genug sein, um sich detailliert und ergebnisoffen mit dem Thema Kommunikation auseinanderzusetzen. Junge Jägerinnen und Jäger wollen ernst genommen werden und auf Augenhöhe kommunizieren. Strikte Hierarchien sind heute weniger gefragt als empathisches Coaching, Empowerment oder Enabling. Der New Way of Work mit all seinen Facetten bietet eine ganze Palette von Instrumenten, die eine demokratische Zusammenarbeit ermöglichen und den dringend benötigten Wissenstransfer intensivieren können.
Den Wandel als Chance begreifen
Mir ist bewusst, dass die sozio-demografischen Voraussetzungen innerhalb der Jägerschaft mit einem eher geringen individuellen digitalen Reifegrad verknüpft sind. Sehr häufig treffe ich auf digitale Verweigerer, die sich dem Thema komplett verschließen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es alternativlos ist, neue Wege zu beschreiten.
Ja, wir Jägerinnen und Jäger können stolz sein auf unser Handwerk und die damit verbundene Traditionen und Verantwortung. Brauchtum zu schützen und zu pflegen darf aber nicht verwechselt werden mit einem konservierenden Stillstand. Ich kann es an dieser Stelle nur nochmals in Erinnerung rufen, dass es nicht die 0,5 % der deutschen Jägerschaft, sondern die 99,5 % der Mehrheitsgesellschaft ist, die mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel über unsere Zukunft entscheidet. Alles, was wir tun, muss deshalb vor den kritischen Augen der nichtjagenden Öffentlichkeit Bestand haben können. Wie wir bei unseren Handlungen von außen wahrgenommen werden, ist für uns (überlebens-)wichtig. Wir sollten den Wandel als Chance begreifen, die Möglichkeiten nutzen und entsprechende Kompetenzen für die Implementierung in die Organisationen holen!
Wandel bedeutet Veränderung, was bei vielen Menschen erstmal auf Ablehnung und Zurückhaltung stößt. Viele fühlen sich schlicht damit überfordert. Der Ton im gesellschaftlichen Diskurs ist dementsprechend rau und gereizt. Auf politischer Ebene beobachte ich schon länger, dass unsere meist liberal-konservativen Fürsprecher immer weniger Gehör finden. Es ist die Tragik unserer heutigen Debattenkultur, dass einfache, monokausale Narrative, die leider nicht selten verknüpft sind mit ideologischen Überzeugungen, bei den Menschen besser ankommen als wissenschaftlich basierte, vielschichtige Aufklärung. Umso mehr sollten wir uns bemühen, weiterhin mit allen relevanten Interessengruppen im Dialog zu bleiben und für Akzeptanz zu werben.
Um den Herausforderungen des Wandels zu begegnen, müssen wir uns kommunikativ und strukturell öffnen. Wer weiterhin stur auf seinen Positionen beharrt und warnende Stimmen überhört, der darf sich nicht wundern, wenn die Eisscholle mit der (privaten) Jägerschaft irgendwann untergeht. Wer sich Veränderungen mutig stellt, kann hingegen viel erreichen!
Quellen und weiterführende Links:
Kotter, J. & Rathgeb, H. (2017): Das Pinguin-Prinzip – Wie Veränderung zum Erfolg führt. Droemer Verlag. München.
https://jagdwirt.at/DesktopModules/ContentList/Uploads/AA_Digital%20Natives_Fischer.pdf
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