Jagd und Gesellschaft

Jagd und Tierschutz – starke Allianzen und neue Wege

Lesezeit: 8 Minuten

Wenn es die Jägerschaft verpasst, ihr Handwerk in Einklang mit dem aktuellen Zeitgeist zu bringen, wird die Jagd in ihrer heutigen Form verschwinden. Dass innerhalb der Jägerschaft oft nicht einmal Konsensfähigkeit für den kleinsten Nenner besteht, ist im Hinblick auf das Erreichen von übergeordneten Zielen ein großes Hindernis. Mehrheitsfähige Ansätze zu definieren, die von der Breite der Jägerschaft mitgetragen und aktiv unterstützt werden, ist jedoch unabdingbar. Wollen wir die Jagd zukunftsfähig machen, sollten unsere Anstrengungen konsequent darauf ausgerichtet sein, möglichst breite Übereistimmungen zu den entscheidenden Fragestellungen zu erreichen: Wie kann die Jagd in den kommenden Jahrzehnten aussehen? Wie können wir sie aktiv mitgestalten und welchen Ansprüchen sollte sie genügen? Welche Allianzen wären sinnvoll und welche Kompromisse müssen wir Jägerinnen und Jäger dafür eingehen?

Die Suche nach Lösungen sollte ganz bewusst auch außerhalb unserer Komfortzone stattfinden – disruptive Ansätze dürfen kein Tabu sein.

Die Rahmenbedingungen, innerhalb denen sich die Jagd behaupten muss, haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Anforderungen an die Jägerschaft sowie auch der Druck, dem sie ausgesetzt ist, sind gestiegen. Bei vielen Zukunftsthemen wie dem Waldumbau oder dem Umgang mit Großraubtieren in unserer Kulturlandschaft spielt die Jägerschaft eine zentrale Rolle. Unser Handwerk wird dabei kontrovers diskutiert und leider nicht selten auf Grund von Unwissenheit verurteilt und stigmatisiert. Dabei ist die Gruppe der wirklichen Jagdgegner in Deutschland überschaubar – laut Deutschem Jagdverband lehnten 2020 gerade einmal 22% die Jagd explizit ab. Die Mehrheit sieht die Jagd positiv und hat Verständnis für deren Notwendigkeit (51%) oder ist dem Thema gegenüber neutral eingestellt (27%). Junge Menschen sind heutzutage allerdings deutlich skeptischer, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war.1

Aus kommunikativer Perspektive sind die „meinungslosen“ Menschen am interessantesten für uns, da sie meist unvoreingenommen und dialogbereit sind. Oft fehlt es lediglich an seriösen Informationsquellen oder thematischen Berührungspunkten. An dieser Stelle müssen wir uns verstärkt einbringen und erkennbar Position beziehen. Die Jagd leistet einen vielfältigen und wertvollen gesellschaftlichen Beitrag, der das inhaltliche Reservoir für unseren Dialog mit der Öffentlichkeit darstellt.

Erneuern, aber auch bewahren

Eine authentische, glaubwürdige, faktenbasierte und respektvolle Kommunikation mit der nichtjagenden Öffentlichkeit ist unverzichtbar. Aber ist sie ausreichend, um dem strukturell erodierenden Rückhalt für die traditionelle Jagd entgegenzuwirken? Ich bezweifle es. Vielmehr müssen wir denjenigen, die wir mitnehmen und für unsere Anliegen gewinnen möchten, auch ein Angebot machen – Ein Angebot, das im Einklang steht mit dem gesellschaftlichen Wertewandel und den Herausforderungen der Zukunft: Erneuerung, wo es notwendig ist, um dem gesellschaftlichen Wertewandel gerecht zu werden; aber auch bewahren, was gut ist und unseren Werten entspricht, um den moralischen Kompass nicht zu verlieren!

Ein ethisch fairer Umgang mit unseren Wildtieren sollte dabei immer unser höchster und übergeordneter Anspruch bleiben. 

Besonders in Zeiten wie diesen, in denen die Entwicklung in Richtung schonungslose „Schädlingsbekämpfung“ tendiert, wage ich zu hoffen, dass dieser ehrbare Anspruch die Kraft einer tugendhaften Klammer besitzt, die uns in unseren Zielsetzungen eint. Viel zu oft werden tierschutzrechtliche Vorgaben wie Schonzeiten oder Muttertierschutz einfach ausgehebelt, um forstwirtschaftliche profitorientierte Ziele zu erreichen. Der Grundsatz „Wald vor Wild“, wie er seit 2005 im bayerischen Waldgesetz verankert ist, öffnet Tierschutzvergehen leider Tür und Tor.

Gesellschaftlicher Stellenwert von Tierschutz

Menschen reagieren auf Tierleid sehr sensibel. Tierschutz und vermehrt auch Tierrechte genießen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Im europäischen Vergleich verfügt die Bundesrepublik über eine umfassende Tierschutzgesetzgebung. Seit 1972 wird sie sukzessive erweitert. Deutschland ist in Sachen Tierschutz aber längst nicht führend. In einigen skandinavischen Ländern, UK sowie der Schweiz liegen die Tierschutzstandards für den Bereich Nutztiere deutlich über dem deutschen Niveau.

Der entscheidende Grundsatz im deutschen Tierschutzgesetz lautet: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen“ (§ 1 Satz 2). Seit nunmehr 20 Jahren ist der Tierschutz in Deutschland als Staatsziel in Grundgesetz verankert und hat somit Verfassungsrang. Insbesondere in der Nutztierhaltung rückt das Thema in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion. In deutschen Ställen stehen über 200 Millionen Tiere und 60 % der landwirtschaftlichen Fläche wird für die Futtererzeugung genutzt. Die öffentliche Wahrnehmung des Tierschutzes in der Agrarwirtschaft ist dabei überwiegend negativ: 83 % der Deutschen sind gemäß Umfragen der europäischen Kommission der Meinung, dass Nutztiere besser geschützt werden sollten.

Auffallend ist, dass sich die öffentliche Perzeption primär auf unsere Nutz- und Haustiere konzentriert.

Heimische Wildtiere finden leider nur wenig Beachtung. 

Es liegt wohl in der menschlichen Natur, dass man sich – wenn überhaupt – dann nur für Missstände interessiert, die direkt vor den eigenen Augen stattfinden. Wildtiere, die still und unsichtbar in unseren Wäldern leben, erfüllen diese Voraussetzung nicht. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich darum auch die Tierschutzpolitik auf die Probleme der mächtigen und einflussreichen Agrarindustrie konzentriert und Maßnahmen zu Gunsten von heimischen Wildtieren eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Für den Stallumbau mit dem Ziel der Verbesserung des Tierwohls in der Sauenhaltung waren im Haushalt des BMEL für 2021 200 Millionen € veranschlagt.2

Tierschutzpolitik – Parteien machen den Unterschied

Die zunehmend schwindende gesellschaftliche Akzeptanz der industriellen Nutztierhaltung und als Folge davon auch der Tierschutz rücken mehr und mehr in den Fokus der Politikgestaltung. Parteipolitisch gibt es im Hinblick auf die Gewichtung von Tierschutzthemen allerdings große programmatische Unterschiede. Die Zeitschrift für Parlamentsfragen veröffentlichte 2017 einen interessanten Beitrag mit dem Titel „Parteiendifferenz in der deutschen Tierschutzpolitik – Gestaltungsspielraum der Länder in neuen Politikfeldern?“.3 Ich möchte an dieser Stelle einige relevante Inhalte daraus aufgreifen. 

2015 veröffentlichte der wissenschaftliche Beirat des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein Gutachten, das die überwiegend kritische öffentliche Einschätzung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung als größte zukünftige Herausforderung für die Branche in Deutschland bewertet. Daraus resultierend verfügte der Haushalt 2020 über den größten Etat seiner Geschichte sowie eine erhebliche finanzielle Stärkung des Bereichs Tierschutz: 2014 waren hierfür 20,5 Mio. € im Haushalt ausgewiesen, 2015 waren es bereits 33 Mio. € und 2020 37,7 Mio. €.4

Die stärkste Betonung von Tierschutz unter den Parteien zeigt sich eindeutig bei Bündnis 90/die Grünen. Die in der Zeitschrift für Parlamentsfragen publizierte Untersuchung zu den Parteidifferenzen zeigt, dass in allen untersuchten Wahlprogrammen auf Landesebene deutliche und umfangreiche tierschutzpolitische Ziele mit zum Teil sehr detaillierten Maßnahmen formuliert und der Stellenwert des Tierschutzes betont wurde. Auch auf Bundesebene besteht ein starkes Ungleichgewicht zu Gunsten von Bündnis 90/die Grünen. Die Grünen benennen auch hier detaillierte Maßnahmen zur Verbesserung oder dem Verbot einzelner Haltungsverfahren und plädieren für eine Neuausrichtung der gesetzlichen Grundlagen, um das Tierwohl in den Mittelpunkt der Nutztierhaltung zu stellen.

Die Untersuchung hat darüber hinaus gezeigt, dass Tierschutz in der Politik besonders dann thematisiert wird, wenn Bündnis 90/die Grünen an der Regierung beteiligt sind und die für den Tierschutz zuständigen Ministerien verantworten.

Es ist davon auszugehen, dass die Parteien tierschutzrechtliche Themen zukünftig vermehrt aufgreifen werden, um der gesellschaftlichen Relevanz dieses Themas gerecht zu werden und den Wählerwillen abzubilden.

Darauf sollte sich auch die Jägerschaft in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung einstellen.

Wo bleiben Hirsch, Reh und Co.?

Der Diskurs über den Umgang mit den großen heimischen Paarhufern ist im Hinblick auf den Waldumbauprozess von zentraler Bedeutung. Auffallend ist, dass sich auf der Website der Grünen nirgendwo konkrete Äußerungen zu ihnen im tierschutzrechtlichen Kontext finden. Auch im Parteiprogramm, mit dem die Grünen zur Bundestagswahl 2021 angetreten sind, wird auf Hirsch, Reh und Co. lediglich im Abschnitt „Unseren Wald retten“ indirekt Bezug genommen: 

„Im Einklang mit Naturschutz- und Waldbesitzerverbänden setzen wir uns für wald-, natur- und tierschutzgerechte Bejagungsmethoden ein.“5

Heimische Wildtiere werden zwar im Themenkomplex Artenschutz erwähnt, aber nicht im tierschutzrechtlichen Zusammenhang. Es scheint, als ob Tierschutz Wildtiere weder in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit noch der Politik inkludiert. Nur so lässt sich erklären, dass die großen Säugetiere unserer Wälder in partei-programmatischen Planungsprozessen übergangen werden. Da die finalen parlamentarischen Entscheidungen um die Bundesjagdnovelle noch ausstehen und die Diskussion darüber wieder Fahrt aufnehmen wird, ist zu erwarten, dass spätestens dann auch unsere Wildtiere ins Zentrum von Tierschutzfragen Rücken.

Unser Wild braucht eine starke Stimme!

Wildtiere haben keine starke öffentliche Lobby – Wir Jägerinnen und Jäger sollten deshalb viel deutlicher und lauter als ihre Fürsprecher auftreten.

Die Jagd wird in Zukunft nur dann öffentliche Akzeptanz finden können, wenn wir das Thema Tierschutz in unserem täglichen Handeln standhaft verteidigen, ehrlich leben und nach außen transparent kommunizieren. Tierschutz darf für uns Jäger nicht verhandelbar sein!

Besonders im Fokus und in der Kritik stehen Bewegungsjagden – und das zurecht. Treibjagden werden zum Allerheilmittel gegen hohe Wildbestände und Beunruhigung des Reviers stilisiert. Ich bin es leid, Einladungen zu Gesellschaftsjagden bei hoher Schneelage bis tief in den Januar zu erhalten, führende Alttiere oder mit mehreren Schüssen durchsiebte Rehwildkörper auf der Strecke zu sehen, Wildtieren mit abgeschossenen Läufen zu begegnen oder Tage später ein nicht ordentlich nachgesuchtes Kalb nach grausamem Leidensweg zu bergen. Handwerkliche Fehler sind menschlich und können uns allen passieren, aber wenn der Grund für das Tierleid eine zweifelhafte Einstellung gegenüber den Wildtieren, eigene Bequemlichkeit, Fahrlässigkeit oder Selbstüberschätzung sind, ist die rote Linie überschritten. 

Ich plädiere deshalb dafür, dass wir tierschutzrechtliche Normen noch viel ernster nehmen und sie deutlich strenger auslegen. Ob es dafür auch eine Anpassung der aktuellen Gesetzeslage braucht sei dahingestellt. Es wäre unabhängig davon erfreulich, wenn ein solches Anliegen innerhalb der Jägerschaft eine breite Anhängerschaft finden würde – nicht weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen!

Jegliches Fehlverhalten gehört geächtet und konsequent geahndet.

Tierschutzrechtliche Vergehen brauchen konsequente Sanktionierungen

Um glaubwürdig zu sein, müssen ehrbaren Absichten auch konkrete Taten folgen. Möglichkeiten wie wir den Tierschutz innerhalb der Jagd stärken können, gibt es genügend. Ich denke an eine weitere Professionalisierung der Kitzrettung per Drohneneinsatz, ein Ausbau der Maßnahmen zur Verkehrssicherung und kurze und unbürokratische Abläufe bei Wildunfällen. Dazu gehört auch die Digitalisierung der dazugehörigen organisatorischen Prozesse und Netzwerke. Höhere Standards innerhalb der jagdlichen Ausbildung sowie mehr verpflichtende Fortbildungen und Sachkundenachweise sind ebenfalls geeignete Instrumente, um dem Thema Tierschutz mehr Raum zu verschaffen. Wir sollten uns zudem zu klaren und einheitliche Positionierung zu sensiblen Angelegenheiten wie Verlängerungen von Schusszeiten, Wildschaden und dazugehörige Ermittlungsverfahren oder Nachtsicht-Optik durchringen und diese in der Öffentlichkeit selbstbewusst und glaubwürdig vertreten. Ein weiterer Vorschlag sind unabhängige Tierschutzbeauftragte, die jeder Landesjagdverband verpflichtend engagiert und die wiederum eng mit den Landestierschutzbeauftragten der jeweiligen Regierungen zusammenarbeiten. Diese Kooperationspartner könnten als Ansprechpartner für die nichtjagende Bevölkerung die kommunikative Schnittstelle zwischen Jagd und Öffentlichkeit sein. Um Tierleid auf der Jagd konsequent ahnden zu können und entsprechende handlungsfähige Anlaufstellen zu generieren, sind strukturelle Anpassungen auf Verbandsebene notwendig. Freilich funktioniert dieses Konzept nur dann, wenn gemeldete Verstöße auch ernst genommen und verfolgt werden und die Jägerschaft ein aufrichtiges und wahrhaftes Interesse an Aufklärung tierschutzrechtlicher Verstöße zeigt.

Sind wir ehrlich: fahrlässig verursachtes Tierleid auf der Jagd hat viel zu selten Folgen für diejenigen, die dafür verantwortlich sind! 

Wir brauchen wirkungsvolle Sanktionen. Mir sind viele Jägerinnen und Jäger bekannt, die eine unabhängige Meldestelle für jagdliche Vergehen ebenfalls schätzen und nutzen würden. Ich sehe innerhalb der Jägerschaft in dieser Hinsicht definitiv die Notwendigkeit eines höheren Anspruchs an uns selber und mehr Transparenz in der Handhabung von tierschutzrelevanten Angelegenheiten.

Die Jägerschaft braucht neue strategische Allianzen

Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir neue Allianzen. 

Relevante Akteure finden sich insbesondere im Kreise der Tierschutzorganisationen und auf politischer Ebene innerhalb der Parteien, die Tierschutzangelegenheiten in ihrer DNA tragen und/oder Regierungsverantwortung dafür innehaben. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich stets auf die verbindenden Gemeinsamkeiten konzentriere, anstatt die spaltenden Differenzen herauszustellen. Symbiotische Schnittmengen sind entscheidend für solch strategische Partnerschaften. Sie sind der Nährboden für neue Wege und Entwicklungen. Fortschritt kann es nur dann geben, wenn eine Erneuerung als notwendig erkannt und aktiv vorangetrieben wird. Wer sich permanent auf den vermeintlich gut funktionierenden Status Quo beruft, verkennt leider oft den dringenden Handlungsbedarf und verschließt sich einer langfristigen und nachhaltigen Lösung drängender Probleme. 

Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Foto: © Sedat Mehder

Die Frage, wer für uns der richtige Gesprächspartner ist, wenn es um die Gestaltung der Jagd in der Zukunft geht, hat sich längst selbst überholt. 

Die Entscheidungshoheit in allen jagdlich relevanten Fragen obliegt in Deutschland den Grünen. Mit dem Vegetarier Cem Özdemir stellt die Partei den aktuellen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Der Themenkomplex der Jagd liegt in seinem Verantwortungsbereich. Özdemir selber bezeichnete sich kürzlich „als oberster Tierschützer der Bundesrepublik“. Er pflegt eine enge Zusammenarbeit mit der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke, ebenfalls von den Grünen. In der Umweltpolitik ist ein weiterer für uns relevanter Tierschutzgegenstand institutionell verankert, der Artenschutz und – erhalt.

Tierschutz und Jagd sind kompatibel

Das Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Die Jagd der Zukunft braucht mehr Tierschutz, um die öffentliche Akzeptanz nicht zu verspielen. Tierschutz und Jagd sind kompatibel – wenn wir es wollen! Inhaltliche Schnittmengen zwischen Jagd und Tierschutz sind ausreichend vorhanden.

In der Broschüre des Deutschen Tierschutzbundes e.V. „die Jagd aus Sicht des Tierschutzes“ ist zu lesen: „Die Jagd muss primär eine dienende Funktion haben, mit dem Ziel, einen Beitrag zu einem den naturräumlichen Verhältnissen angepassten Vorkommen möglichst vieler standortheimischer Pflanzen- und Tierarten zu leisten. Die Regelungen zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden der bejagten Tiere sind zu verbessern und die Störung in der frei lebenden Tierwelt weiter zu vermindern.“6 Ich gehe davon aus, dass der Großteil der Jägerschaft diese Forderung unterstützt.

Wenn wir Erneuerungsprozesse befürworten, müssen wir bereit sein, Veränderung zuzulassen. Dies ist immer mit Kompromissen und häufig auch mit Verzicht verbunden. Sich von lieb gewonnenen Gewohnheiten und lange gewachsenen Gegebenheiten zu verabschieden kann schmerzhaft sein. Die Herausforderung, die sich uns stellt ist es, den Wandel anzunehmen ohne unsere Werte zu verraten. Die Bereitschaft erforderliche Maßnahmen anzustoßen und deren Implementierung mitzutragen, muss dabei jeder selber mitbringen. 

Lesenswert!

Wie brisant das Thema Tierschutz in der jagdlichen Praxis ist, schildert der Wildmeister Dieter Bertram in seinem offenen Brief vom Mai 2021 an die Präsidenten der Landejagdverbände sowie die Landwirtschaftsminister.

Wildmeister Dieter Bertram 53894 Mechernich 
Bundesobmann der Berufsjäger a.D. Michael Schumacher Str. 16 
Mai 2021 
Offener Brief 

An die Nachrichtlich: 
Landwirtschaftsminister An die Präsidenten 
der Bundesländer der Landesjagdverbände 

Betr.: Jagdgesetz gegen Tierschutzgesetz 

Sehr geehrte Damen und Herren 

Mit den neuesten Jagd- und Schonzeiten für Schalenwild im Frühjahr (Schmalrehe, 
Schmaltiere, nicht führende Bachen) wird der Gesetzgeber sich selbst zum Feind durch 
Gesetzbruch, weil der massive Verstoß gegen den Tierschutz billigend in Kauf genommen 
wird.
 

Was ist aus der Jagd geworden, fragt nicht nur eine anspruchsvolle Jägerschaft, sondern 
auch die Öffentlichkeit, wenn die Kinderstube der Wildtiere nicht mehr geachtet wird.
 

Jagdbeiräte aus der Forstwirtschaft, auch sogenannte Fachpresse schildern seit Jahren, wie
leicht Ricke und Schmalreh, Alttier und Schmaltier, Schwarzwild führend und nichtführend 
auf Fotos sich unterscheiden lassen. 

Die Praxis, die zur Verschwiegenheit verpflichteten Schweißhundführer und die 
Wildhändler zeichnen ein anderes Bild. Aktueller Hinweis aus Rheinland Pfalz, zwei 
Schweißhundführer (ein Forstbeamter und ein Berufsjäger) haben ihre Nachsuchenarbeit 
eingestellt. Der viele Jahre mit hoher Verantwortung geleistete „Rote-Kreuz-Dienst“ am
Wild sei unerträglich geworden, speziell bei der Frühjahrsjagd. (Verendete Bachen an denen 
die Frischlinge saugen, Ricken, Alttiere, vermutete Schmaltiere, bei denen die Kälber 
Totenwache halten). 

Die Frühjahrsjagd auf weibliches Schalenwild ist vom Gesetzgeber nicht nur für 
professionelle, sehr erfahrene Jäger, sondern für jeden Jäger, auch für den Jungjäger nach 
vierzehntägigem Lehrgang erlaubt.
 

In der Natur spielen sich Tiertragödien ab, die auch unter dem Gesichtspunkt des 
Waldwiederaufbaus nicht tollerierbar und zurück zu nehmen sind, bevor das Jagdwesen zum 
Flächenbrand wird. 

Tierschutzorganisationen, Peta, Vierpfoten und Jagdgegner stehen in Lauerposition. Ihnen 
fehlt nur noch ein Günter Wallraff, der sich in das Jagdwesen einschleicht, die Jagd in der 
Gesellschaft an den Pranger stellt. 

Die Frühjahrsjagd, insbesondere ab 1. April, ist nicht nur aus tierschutzrelevanten Gründen 
bedenklich, sondern auch aus Gründen des Waldschutzes. So wird die Frühjahrsjagd als 
besonders wirkungsvoll betrachtet, wenn das Wild auf dem ersten Grün Nahrung sucht. 
Dem Ruhebedürfnis des Wildes wird keine Rechnung getragen, man treibt es mit der 
Intensivbejagung zurück in den Wald, wo es schält und verbeißt. Die zusätzliche Nachtjagd 
erhöht den Waldschaden.
 

Wir haben in unserem Land kein Wild- sondern ein Jagdproblem, an dem der Gesetzgeber 
durch seine Verordnungen einen hohen Anteil hat.

Die Stimmen werden lauter, der Forstwirtschaft die Wildbewirtschaftung zu entziehen, 
neuen Konzepten zu zuordnen. 
Bedeutende Förster- und Jägerpersönlichkeiten der Vergangenheit, die kenntnisreich Wald 
und Wild gestalteten, sind abgelöst durch Dilettantismus. Wir erteilen den Ländern 
Ratschläge rund um den Erdball, wie sie mit Natur und Wildtieren umzugehen haben. Mit 
Wildtieren und Wald im eigenen Land stehen wir im wörtlichen Sinne auf Kriegsfuß.
 

Ein Volk, auch ein Jägervolk, daß seine Werte und Normen aufgibt, schlägt sich die eigenen 
Wurzeln ab und wird vergehen. 
Einer der bekanntesten Wildbiologen Prof. Dr. Dr. Sven Herzog schreibt in seinem Buch 
„Wildtier- Management“ „Ich gebe der derzeitigen Jagd noch ein bis zwei Jahrzehnte.“ Die 
„Innere Mission“ der Jagd ist ein hohes Gut. Sie muß einen stärkeren Stellenwert 
bekommen, als gesetzliche Großzügigkeiten, in denen die Forstwirtschaft sich über den 
Tierschutz stellt. 

Trotz Corona, trotz Borkenkäfer, trotz Klima- Weltuntergangsstimmung bitte ich Sie um 
Nachdenklichkeit für unser Wild. Es ist nicht Privateigentum der Forstwirtschaft, sondern 
allgemeines Kulturgut. 

Mit freundlichen Grüßen 
Dieter Bertram 

Nachtrag: Der Unterzeichner hat 45 Jahre als Berufsjäger in großen Pachtrevieren, sowie im 
Öffentlichen Wald als Jagdleiter eines Forstamtes mit fünf Revierförstereien gearbeitet. Das 
Wild war kein Problem, sondern ein Gewinn.

Quellen

www.jagdverband.de

2,4 www.bmel.de

3  Vogler, Colette: Parteiendifferenz in der deutschen Tierschutzpolitik – Gestaltungsspielraum dr Länder in neuen Politikfeldern? Parteizeitschrift für Parlamentsfragen, Vol. 48, No. 3 (2017), pp.634-656. Published by: Nomos Verlagsgesellschaft mbH, https://www.jstor.org/stable/26429085

https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf

www.tierschutzbund.de

Link

Ratgeber Jagdrecht

4 Kommentare zu “Jagd und Tierschutz – starke Allianzen und neue Wege

  1. Max - Georg Frhr. von Korff

    Guten Tag, liebe Frau Fischer, Sie haben meine volle Unterstützung bei Ihren Bemühungen mit dem Ziel, dass sich die Jägerschaft in Sachen Tierschutz mit den politischen Parteien, allen voran den Grünen, auseinandersetzt bzw. zusammenarbeitet. Allerdings sehe ich da ein großes, dickes Brett, dass es zu bohren gilt, weil nur ein zu kleiner Teil der Jägerschaft in Deutschland für einen tierschutzrelevanten Dialog mit politischen Parteien, insbesondere mit den Grünen, bereit ist. Hier bedarf es nachdrücklicher und ständiger Überzeugungsarbeit in der Jägerschaft allgemein. Aktuell hat hier im Oderland die Afrikanische Schweinepest gezeigt, dass eine große Anzahl der örtlichen Jäger keinerlei, zumindest aber begrenztes, Verständnis für die behördlich verordneten Gegenmaßnahmen hatte. Leider ist die Absolvierung der Jagdscheinprüfung heute für jedermann und -frau ohne jagdliche Vorbildung möglich, oft auch ohne Lehrprinzen, so dass eine ethische Vorbildung auf die Jagd in der Regel nicht vorhanden ist. Oft spielen nur gesellschaftliche Gründe für den Erwerb des Jagdscheines, auch im fortgeschrittenen Alter, eine Rolle. Diesem Trend muss aus meiner Sicht dringend entgegengewirkt werden! Ein großer Teil der aktuellen Jägerschaft hier im Oderbruch hat noch nicht begriffen, dass heute gesellschaftspolitisch, aus Sicht des Natur- und Artenschutzes und auch waidgerechten Jagens neue Anforderungen an die Jagd allgemein entstanden sind. Leider ist heute noch für viele Jagdscheinaspiranten der Erwerb des Jagdscheines vergleichbar mit dem Erwerb von Lizenzen anderer gesellschaftlich anerkannter Sportarten, wie z.B. Golf, Tennis etc.. Es sollte also für den Erwerb des Jagdscheines eine mehrjährige Vorbereitung nachgewiesen werden, bevor es zur Jägerprüfung geht. Das würde so manchen „Spätberufenen Gesellschaftsjäger“ sicher abschrecken. Herzliche Grüße und Waidmannsheil, Max-Georg v. Korff

    • Christine Fischer

      Sehr geehrter Herr von Korff,

      vielen Dank für Ihre Zuschrift und ihren differenzierten Kommentar, mit dem ich weitgehend übereinstimme. Was nützen uns 407.000 Jägerinnen und Jäger alleine in Deutschland, wenn wir weder eine tiefgreiferende Bildung zum Thema Jagdethik, geschweige denn eine strukturierte und abgestimmte Kommunikation haben? Wer den Jagdschein macht, sollte sich darüber bewusst sein, dass damit auch eine vielschichtige Verantwortung einhergeht. Wir schulden es dem Kollektiv der Jägerschaft und der Zukunft der Jagd, dass wir diese Verantwortlichkeiten ernst nehmen. Weiterbildung ist auch immer eine Holschuld, die man aktiv erwerben muss. Viele Jägerinnen und Jäger begnügen sich leider damit, ihrem persönlichen Vergnügen nachzugehen, ohne sich für die komplexen Zusammenhänge zu interessieren. Erfreulicherweise durfte ich aber in meiner langjährigen jagdlichen Laufbahn auch schon viele junge Jägerinnen und Jäger kennenlernen, die äußerst motiviert und engagiert sind und den Erfahrungsaustausch dankend annehmen. Um mehr kommunikative Durchschlagskraft zu erlangen, brauchen wir starke Allianzen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Ohne Kollaboration, einen transparenten Dialog und klare, verständliche Botschaften, werden unsere Anliegen in der breiten Gesellschaft weiter an Akzeptanz einbüßen. Ich grüße Sie herzlich aus Vorarlberg, Christine Fischer

  2. Hallo Christine,

    Du bist mit diesem Artikel ein wichtiges Thema angegangen und hast dabei die Defizite und Handlungsmöglichkeiten von Jagd und Jägern treffend herausgearbeitet. Wandel und über den Tellerrand zu schauen wird in Zukunft unabdingbar sein. Zu lange wurde dies vernachlässigt, dabei gibt es so viele Potentiale – wir müssen sie nur nutzen.

    Bei Bündnis90/Die Grünen können wir derzeit nur abwarten, ob und wie sie auf uns zukommen. Historisch betrachtet könnten bestimmte Personalien der „zweiten Reihe“ Anlass zur Sorge geben. Das gilt es genauer zu beobachten.

    Deine Artikel sind immer wieder eine Bereicherung und regen zum Nachdenken an. Wir hoffen, bald wieder über ein weiteres interessantes Thema bei Dir lesen zu können.

    Viele Grüße und alles Gute,
    Marcel von Jagdschein-Info.com

    • Christine Fischer

      Hallo Marcel, vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich freue mich sehr, wenn meine Artikel einen Dialog innerhalb der Jägerschaft anstoßen. Das ist unter anderem Sinn und Zweck dieses Blogs. Ich bin ebenfalls sehr gespannt auf die kommende Zusammenarbeit mit den Grünen. Ich hoffe, dass wir es schaffen, uns proaktiv am Gestaltungsprozess zu beteiligen und unsere Interessen glaubhaft zu vertreten. Ich sehe neue Personalien auch immer als Chance und bin der Meinung, dass wir uns selbstbewusst als kompetenten Gesprächspartner und Fürsprecher für das Wild anbieten sollten! Herzliche Grüße und Weidmannsheil aus Vorarlberg! Christine

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