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„So wie die Fleischindustrie funktioniert, kann sie nicht weiterbestehen. Wenn wir die Klima- und Biodiversitätsversprechen an die nächste Generation ernst meinen, brauchen wir dringend eine Fleischwende – einen Ausstieg aus der desaströsen industriellen Fleischproduktion mit all ihren Folgen.“
Barbara Unmüßig (Politologin und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung)
Die industrielle Fleischproduktion befeuert die Klimakrise, Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste. Eine Fleischwende steht deshalb weit oben auf der politischen Agenda. Wildbret ist eines der wenigen naturbelassenen Nahrungsmittel unserer Zeit. Welchen Stellenwert es in Zukunft in der öffentlichen Wahrnehmung und der Struktur des Fleischkonsums einnehmen wird, liegt selbstverständlich auch an der Qualität des jagdlichen Handwerks selbst.
Zweifellos gilt Wildbret als „bestes Produkt der Jagd“. Sein ethischer, ökologischer und ernährungsphysiologischer Wert ist demjenigen von landwirtschaftlichen Nutztieren weit überlegen. Es sollten gemeinschaftliche Anstrengungen unternommen werden, um den Fokus vermehrt auf dieses hochwertige und klimaschonende Lebensmittel zu lenken und die Produktion, Logistik und Vermarktung zu professionalisieren. Eine sorgfältige und verantwortungsvolle Generierung von Wildfleisch trägt zudem einen wichtigen Teil zur Akzeptanz des Weidwerks in der breiten Öffentlichkeit bei.
Verdorbenes Wildbret kann ernsthafte Auswirkungen haben
Es ist unumstritten, dass die Umsetzung des am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen EU-Lebensmittel-Hygienepakets zur Qualitätssicherung des Wildbrets beiträgt. Uns Jägern fällt als Lebensmittelunternehmer diesbezüglich eine entscheidende Rolle zu. Unsachgemäße Handhabung der Hygienepraxis kann zur gesundheitlichen Gefährdung des Konsumenten sowie zu einem gravierenden Imageschaden für die Jagd führen.
Ein Großteil des Wildbrets wird nicht beim Einzelansitz, sondern auf Bewegungsjagden generiert. Dort herrschen besonders anspruchsvolle Rahmenbedingungen für die Gewährleistung eines genusstauglichen und hochwertigen Lebensmittels. Ein genauerer Blick auf diese Thematik ist für uns alle lohnenswert, denn auf Grund von Nachlässigkeiten im Umgang mit Wildbret können Konsumenten ernsthaft Schaden nehmen.
Basierend auf einer Kalkulation des deutschen Lebensmittelhygienikers Prof. K. Fehlhaber ist ermittelt worden, wie viele Personen betroffen sein könnten, würde das verdorbene Fleisch eines Stückes Rotwild mit 88kg (aufgebrochen, in der Decke) in Umlauf gebracht werden. Es liefert demnach bei Portionsgrößen von 170g für Fleischgerichte bzw. 100g für Wurstwaren Lebensmittel für 265 Konsumenten (WINKELMAYER, PAULSEN, LEBERSORGER, ZEDKA 2016).
Ein tiefgreifendes Bewusstsein für die Verantwortung der Jägerschaft kann nur aus einem grundsätzlichen Verständnis für die relevanten Prozesse im praxisbezogenen Kontext entstehen. Es ist deshalb unerlässlich, den Verderb von Wildbret zu Beginn etwas genauer zu beleuchten.
Verderb von Wildbret
Verderbniserscheinungen liegen dann vor, wenn in einem Lebensmittel Veränderungen ablaufen, die die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit erheblich vermindern oder ausschließen (DEUTZ 2012). In Bezug auf das Wildbret sind zwei dominierende Verderbnis-Formen relevant, die Fäulnis und die stickige Reifung, die auch als „Verhitzen“ bezeichnet wird.
Fäulnis beruht in erster Linie auf einem Zersetzungsprozess von Eiweiß, der bakteriell bedingt ist. Es wird zwischen Oberflächenfäulnis und Tiefenfäulnis unterschieden. Bei der Oberflächenfäulnis findet der bakterielle Abbau des Eiweißes durch aerobe (sauerstoffverbrauchende) Bakterien an der Fleischoberfläche statt. Es findet eine Veränderung der Farbe, des Geruchs sowie der Konsistenz statt. Das Muskelfleisch wird deutlich blasser und verfärbt sich schlussendlich grünlich. Der Geruch wird als käsigfaulig beschrieben. Die Fleischoberfläche ist von einem schmierig-klebrigen und glänzenden Belag überzogen. Findet der bakterielle Abbau in der Tiefe statt, spricht man von Tiefenfäulnis. Mögliche Ursachen sind das Einwandern von Bakterien bei fortgeschrittenem Stadium der Oberflächenfäulnis oder das durch verspätetes Ausweiden verursachte Eindringen von Darmbakterien in die Muskulatur. Auch hier sind auffällige Veränderungen in Farbe (grünlich) und Konsistenz (weich) die Folge. Der bakterielle Abbau wird in diesem Fall durch anaerobe (nicht sauerstoffverbrauchende) Bakterien ausgelöst. Anaerob wachsende Keime entwickeln sich nur bei reduzierter Sauerstoffspannung. Aus diesem Grund sind primär die dicken Muskelpartien von Tiefenfäulnis betroffen (WINKELMAYER, PAULSEN, LEBERSORGER und ZEDKA (2016).
Die zweite dominierende Verderbnis-Erscheinung neben der Fäulnis ist die stickige Reifung. Im Gegensatz zur Fäulnis handelt es sich hierbei aber nicht um einen bakteriellen Verderb, sondern um einen enzymatischen Prozess in der Muskulatur, bei dem anstelle von Milchsäure Buttersäure, Schwefelwasserstoff und Porphyrine gebildet werden. Dieser setzt umgehend nach dem Verenden ein. Ursache sind alle Faktoren, die ein rasches Auskühlen des Tierkörpers verhindern. Dazu gehören dicke Fettschichten und ein dichteres Haarkleid (bei Bewegungsjagden im Winter von Bedeutung!),verzögertes Aufbrechen, fehlerhafter Transport (bspw. Übereinanderstapeln körperwarmer Stücke) oder hohe Außentemperaturen. Als Folge der verzögerten oder fehlenden Auskühlung treten auch hier Veränderungen bezüglich Farbe (Bauchfell erscheint kupferrot!), Konsistenz (teigig-mürbe) und Geruch (muffig-stickig) auf (DEUTZ 2012). Stickig gereiftes Wildbret gilt als verdorben.
Fleischreifung
Eine vollständige Fleischreifung oder Fleischsäuerung ist die Grundlage für aromatisches, schmackhaftes Wildfleisch. Die Fleischreifung läuft hauptsächlich während der Totenstarre ab und vollzieht sich nach dem Erlegen beim sogenannten „Abhängen“. Es handelt sich hierbei um einen biochemischen Prozess, der in der Regel nach 72h abgeschlossen ist. In diesem Zeitraum findet durch Glykogenabbau eine Absenkung des PH-Wertes auf ca. 5,5 – 6,0 statt (= Glykolyse). Dies prägt die Geschmacksbildung, erhöht die Zartheit des Wildbrets und verlängert seine Haltbarkeit. Der optimale End-PH-Wert hemmt das Wachstum bakterieller Keime, da in einem sauren Milieu nur eine begrenzte Zahl von Mikroorganismen überlebens- bzw. vermehrungsfähig sind (MAAHS in MATTHIESEN 2013).
End-PH-Werte über 6,0 sind ein Hinweis auf die Erschöpfung der Energiereserven vor dem Tod. Bei erhöhtem Stress, wie es häufig bei Bewegungsjagden der Fall ist, kommt es deshalb nicht selten zu einer mangelhaften Fleischreifung. Andauernde Hetzen durch Hunde sowie lange Nachsuchen führen zu einem Abbau des für die Fleischsäuerung benötigten Glykogens. Eine Reifung des Wildbrets kann dann nur noch unvollständig stattfinden.
Herausforderung Bewegungsjagd
Die Jagdmethode hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wildbrethygiene. Ein hoher Ausgangskeimgehalt der Fleischoberflächen bestimmt weitgehend die Lagerfähigkeit von Wildbret sowie die hygienische Qualität. Während bei einem niedrigen Keimgehalt Wildbret bei 5°C 18 Tage lagerungsfähig bleibt, sind es bei gleichen Bedingungen bei einem hohen Keimgehalt nur 3 Tage. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass Wildbret nie keimfrei ist. Auch dann nicht, wenn es unter hygienisch idealen Bedingungen gewonnen wird.
Wie die Tabelle zeigt, sind Keimgehalte von 105 – 5×105 Keime/cm2 zum Zeitpunkt der Fleischverarbeitung als normal zu betrachten (DEUTZ 2012). Bei Bewegungsjagden kann der Oberflächenkeimgehalt um ein vielfaches höher ausfallen. Vor allem Rehwild gilt diesbezüglich als „anfällig“. Gründe hierfür sind sein bewegungstypisches, sprungartiges Fluchtverhalten auf Freiflächen (Galoppsprünge in Wellenform), das das Risiko von wildbrethygienisch bedenklichen Weichschüssen erhöht sowie sein lockeres Bindegewebe, das bei zu rasanten und starken Kalibern großflächige Hämatome nach sich zieht. Zusätzlich kommen bei Bewegungsjagden ein schlechterer Ausblutungsgrad sowie ein verzögertes Aufbrechen und verspätetes Kühlen hinzu (Streckelegen). Ausgangskeimgehalte bei Rehwild können deshalb zum Zeitpunkt der Verarbeitung bereits im nicht mehr tolerierbaren Bereich bei 107 Keimen/cm2 liegen. Demgegenüber steht ein Keimgehalt von 105 Keimen/cm2 bei auf Einzeljagden erlegten Rehen. Mit saisonalen Schwankungen sind in großen Wildverarbeitungsbetrieben bis über 20% der angelieferten Rehe stickig gereift, hochgradig verschmutzt oder mikrobiell verdorben und somit untauglich (DEUTZ 2012).
Bewegungsjagden sind für die Wildbrethygienepraxis eine besondere Herausforderung. Die erhöhte Kontamination wird dabei von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst.
Die zuverlässige Ansprache
Ein Inverkehrbringen von Wildbret ohne Lebenduntersuchung ist nicht gestattet. Dem Jäger muss bewusst sein, dass er die Lebenduntersuchung nach der Wildfleischverordnung durchführt, die der Schlachttieruntersuchung bei landwirtschaftlichen Nutztieren entspricht. Wildbret ist nur dann genusstauglich, wenn es von einem gesunden Stück Wild stammt. Falls die Absicht besteht, das Stück trotz auffälliger Merkmale in Verkehr zu bringen, ist es tierärztlich untersuchungspflichtig (DEUTZ 2012).
Die Lebenduntersuchung umfasst eine Beurteilung unterschiedlicher Kriterien. Dazu gehören beispielsweise der Ernährungszustand, die Reaktion auf den Beobachter sowie Artgenossen, sichtbare Verletzungen, Lautäußerungen (husten, niesen, klagen), Bewegungsstörungen, das Haarkleid, Durchfall oder zentralnervale Symptome (DEUTZ 2012). Bei Bewegungsjagden ist eine zuverlässige Ansprache durch den Zeitdruck und das sich in Bewegung befindende Wild erschwert.
Der Schuss
Ein sicherer und sauberer Schuss bei Bewegungsjagden verlangt Vorbereitung, Übung, Erfahrung, Wissen und Können. Der vom Jäger abgegebene Schuss sowie die verwendete Munition bzw. das Kaliber und Geschoss haben dabei erheblichen Einfluss auf die Wildbretqualität. Aus hygienepraktischen Gesichtspunkten sind schwere, langsame Geschosse mit geringerer Energieabgabe günstiger als rasante Geschosse mit großer Splitterwirkung. Besonders, wenn Knochen getroffen werden und es zu einer starken Zerstörung der Muskulatur kommt, kann die Wildbretqualität massiv vermindert werden. Durch Eindringen von Schmutz und Bakterien von der Oberfläche in die Muskulatur, ist auch ein kurzfristiger Verderb des Wildbrets möglich (DEUTZ 2012).
Fatale Folgen haben zu rasante Geschosse in Kombination mit einer ungünstigen Trefferlage. Schüsse, die spitz oder halbspitz abgegeben werden, durchschlagen in der Regel die Bauchhöhle und führen zu entsprechenden Verletzungen des Gescheides, was aus wildbrethygienischer Sicht höchst problematisch ist.
Auch die Wahl der Munition spielt eine entscheidende Rolle. So sind bei Verwendung von bleihaltiger Munition die Bleisplitter bis zu 30cm quer zum Schusskanal verstreut. Herkömmliches Ausschneiden ist nicht ausreichend, da es die Bleireste nicht vollständig zu entfernen vermag. Bleihaltige Rückstände im Wildbret können durchaus lebensmittelhygienisch relevant sein (DEUTZ 2012). Bewegungsjagden erfordern zudem öfters ein „Nachschießen“ als dies bei der Ansitzjagd der Fall ist. Mehrfachtreffer durch eine höhere Anzahl von Schusswunden ermöglichen ein verstärktes Eindringen von Keimen und verursachen eine erhöhte Kontamination des Wildbrets bzw. begünstigen dessen Verderb. Eingeschränkte Sichtverhältnisse sowie zu große Schussdistanzen sind zusätzliche Faktoren, die sich bei einer Bewegungsjagd negativ auswirken können.
Die Trefferlage
Die besonderen Bedingungen bei Bewegungsjagden verlangen meistens Schüsse unter Zeitdruck und meistens auf trollendes oder flüchtiges Wild. Dies wirkt sich nachteilig auf die Trefferlage aus. Wildbrethygienische Weichschüsse kommen auf Bewegungsjagden deutlich häufiger vor als bei der Ansitzjagd. Nach Untersuchungen von DEUTZ und PLESS (2006) ist die Trefferlage bei Stücken, die auf Bewegungsjagden erlegt wurden, deutlich schlechter als bei Einzeljagden. Während bei der Einzeljagd 71% Kammerschüsse und 9% Weichschüsse eruiert wurden, sind es bei der Stöberjagd 70% Kammerschüsse und 30% (!) Weichschüsse (DEUTZ und PLESS 2006 in MATTHIESEN 2013).
Dem Schützen muss bewusst sein, dass jeder Treffer „hinter der 10“ weich ist. Schüsse in oder durch das Gescheide zählen zu den wildbrethygienisch problematischsten Treffern. Sie verursachen eine stark erhöhte Kontamination des Wildbrets. Bakterien können in tiefe Muskel- und Bindegewebsschichten eindringen, was eine starke Bakterienvermehrung zur Folge hat. Zudem lassen sich hohe Keimgehalte auf der Fleischoberfläche feststellen. Trägerschüsse, Schüsse aufs Haupt sowie hinter den Teller sind aus tierschutzrechtlichen Gründen abzulehnen. Außerdem ist durch die Schockwirkung der Ausblutungsgrad sehr gering, was die spätere Wildbretqualität beeinträchtigt. Die optimale Trefferlage bei Bewegungsjagden ist einzig durch den sauberen Kammerschuss erfüllt.
Die Stresssituation
Jede Stresssituation für das Wild bedeutet einen Qualitätsverlust des Wildbrets. Hetzen, lange Treiben oder Nachsuchen haben direkten Einfluss auf die Lagerfähigkeit bzw. Verderbsanfälligkeit des Fleisches. Stresssituationen mit gesteigertem Energieverbrauch durch verstärkte Kontraktion der Muskeln bewirken beim Wild einen erhöhten Glykogen-Verbrauch. Glykogen wird aber im Rahmen des Fleischreifungsprozesses für die Bildung von Milchsäure und die damit verbundene Absenkung des PH-Werts benötigt. Ohne ausreichende Glykogen-Reserven findet keine vollständige Fleischreifung statt und es kann deshalb weder eine zufriedenstellende Fleischqualität noch eine ausreichend lange Lagerfähigkeit des Wildbrets erreicht werden.
In einer Stresssituation, wie dies bei angeschossenem aber auch bei flüchtenden Stücken der Fall ist, steigt außerdem die Körpertemperatur in kürzester Zeit vom Normalbereich (37° bis 38°C) auf 40°C und mehr an. Dies begünstigt wiederum das Verhitzen eines erlegten Stückes. Stresszustände und Schocksituationen haben außerdem einen Einfluss auf die natürliche Magen-Darm-Barriere des Wildes. Diese übernimmt normalerweise die Funktion einer „biologischen Schranke“, die ein Austreten von an der Verdauung beteiligten Mikroorganismen aus dem Magen-Darm-Trakt zu Vermeidung von Krankheiten verhindert. Ist die Magen-Darm-Barriere nicht mehr intakt (durch andauernden Stress oder beim erlegten Stück), können Darmbakterien in den Wildkörper übertreten. Wenn man bedenkt, dass sich in 1g Kot/Losung neben anderen Bakterienarten >100 Mio. Colikeime und in 1g Panseninhalt ca. 30 Mio. Bakterien befinden, wird einem bewusst, welche Folgen dies für die Qualität des Wildbrets haben muss (DEUTZ 2012).
Der Zeitraum zwischen Erlegen und Aufbrechen
Verzögertes Aufbrechen auf Bewegungsjagden ist aus wildbrethygienischer Perspektive einer der problematischsten Faktoren.
Nach der Fleischhygieneverordnung (FIHV) ist erlegtes Haarwild unverzüglich aufzubrechen und auszuweiden (FIHV Anl. 2 Kap. VI Nr. 1.1). Unter dem Begriff „unverzüglich“ ist dabei „ohne schuldhaftes Zögern“ und unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der Jagd zu verstehen.
Das Aufbrechen von auf Bewegungsjagden erlegten Stücken erfolgt deutlich später als bei Stücken, welche auf der Einzeljagd erlegt werden, da die Schützenstände bis zum Ende der Jagd nicht verlassen und die Stücke in dieser Zeit auch nicht aufgebrochen werden dürfen (DÖRING 2007 in MATTHIESEN 2013). Dies hat insbesondere dann wildbrethygienische Konsequen-
zen, wenn das Stück gleich nach Standeinnahme erlegt wird und ein Treiben von > 3h anberaumt ist.
Die Bedeutung des Faktors Zeit ist nicht zu unterschätzen. Nach Weichschüssen ist die Keimbelastung bereits nach 30min hoch. Nach > 2h sind unabhängig von der Trefferlage keine keimfreien Proben mehr vorhanden. Bei Stücken mit Kammerschüssen sind 83,3% der entnommenen Proben nach > 2h als stark keimhaltig einzustufen. Obwohl Kammerschüsse als wildbrethygienisch optimal gelten, kommt es zu einer Belastung und Ausbreitung der Bakterien, da 30-40min nach Eintreten des Todes die Magen-Darm-Barriere zusammenbricht und stark keimhaltige Darmbakterien in den Wildkörper übertreten können (OPHOVEN 2011 in MATTHIESEN 2013). Hinzu kommt die erhöhte Gefahr der stickigen Reifung je länger der Zeitraum zwischen Erlegen und Aufbrechen ausfällt. In der Regel gilt, dass ein Stück bei einem Zeitraum von < 2h zwischen Erlegen und Aufbrechen nicht verhitzt ist, da die verantwortlichen biochemischen Prozesse erst kurzzeitig angelaufen sind. Unter ungünstigen Umständen (schweres Wild, durch Stress verursachte hohe Körpertemperaturen etc.) kann ein Stück allerdings bereits nach 90min verhitzt sein (MATTHIESEN 2013).
Der Transport
Ein unsachgemäßer Transport von Wildkörpern verhindert ein schnelles Auskühlen und erhöht dadurch die Gefahr des Verhitzens sowie der Ausbreitung von Bakterien. Vor allem das Übereinanderstapeln körperwarmer Stücke ist auf Bewegungsjagden nach wie vor ein nicht seltenes Bild und hat diesbezüglich fatale Auswirkungen. Auch die saisonbedingt niedrigen Temperaturen, die üblicherweise bei Bewegungsjagden herrschen, wirken diesem Prozess nur bedingt entgegen. Dichtes Winterhaar sowie eine dicke Fettschicht haben einen zusätzlich isolierenden Effekt und wirken durch eine Verlangsamung des Temperaturaustauschs einem raschen Auskühlen entgegen.
Die Vermehrungsrate von womöglich gesundheitsschädigenden Keimen ist in hohem Maße temperaturabhängig. Die durchschnittliche Körpertemperatur eines gesunden, ungestressten Wildschweins liegt zwischen 37° und 38°C (ganzjährig). Bei einem kürzlich erlegten, unaufgebrochenen Stück mit vergleichbarer Körpertemperatur muss demnach mit einer Verdoppelung der schädlichen Colikeime innerhalb von 20 min gerechnet werden. Dies bedeutet, dass aus einer einzigen Bakterienzelle nach 10h über 1 Mrd. Keime entstehen! Zusätzlich muss der Anfangskeimgehalt berücksichtigt werden. Bei einer Temperatur von 15°C verdoppelt sich die Keimzahl hingegen erst nach 3h (DEUTZ 2000). Dieser Vergleich zeigt eindrücklich, wie gravierend der Einfluss der Temperatur auf die Keimvermehrung und entsprechend wichtig ein sachgemäßer Transport der Wildkörper ist.
Das Aufbrechen und Streckenlegen
Streckelegen ist für viele Teilnehmer einer Gesellschaftsjagd einer der Höhepunkte des Jagdtages und eine wertvolle Tradition, um das jagdliche Brauchtum zu zelebrieren und gegenüber dem erlegten Wild Wertschätzung und Dankbarkeit auszudrücken. Aus wildbrethygienischer Perspektive ist das Streckelegen allerdings kritisch zu bewerten, da die Wildkörper nach dem Bergen und Aufbrechen nicht unverzüglich auf eine angemessene Temperatur zwischen +7°C und -1°C heruntergekühlt werden können. Außerdem begünstigt eine unsachgemäße Streckenlegung die Kontamination des Wildbrets sowie eine stickige Reifung. Es gilt deshalb, einige wichtige Punkte zu beachten.
Das Streckelegen sollte möglichst zügig durchgeführt werden. Das Einsammeln von Standprotokollen sowie die Organisation von Nachsuchen verzögern oft seinen Beginn. In diesem Fall müssen die Wildkörper unbedingt schon vorher auskühlen können. Dies geschieht idealerweise hängend. Es gilt dabei zu beachten, dass sich die Wildkörper nicht berühren. Gleiches muss auch beim Wild auf der Strecke berücksichtigt werden. Besser als die Seitenlage wäre es, die Wildkörper auf den Rücken zu legen und den Bauchraum mit einem entsprechenden Gabelschlüssel aus Edelstahl zu öffnen. Ebenfalls wichtig für ein rasches Auskühlen ist die richtige Aufbrechmethode. Ein Öffnen vom Schloss bis zum Kieferwinkel ermöglicht eine ausreichende Luftzufuhr bzw. einen aktiven Temperaturaustausch.
Wild, das auf Grund von mehreren Treiben bereits in der Kühlkammer hing, gehört nicht mehr auf die Strecke. Die Fleischoberfläche würde in diesem Fall mit Kondenswasser beschlagen und die Feuchtigkeit das Bakterienwachstum fördern. Für alle Arbeitsvorgänge am Aufbrechplatz ist die Einhaltung von hohen Hygienestandards ausschlaggebend. Dies betrifft die Werkzeuge genauso wie die Arbeitskleidung und das verwendete Wasser, das immer von Trinkwasserqualität sein muss. Mehr und mehr setzt sich auf Bewegungsjagden eine Kompromisslösung durch, die in möglichst hohem Maße der Wildbrethygienepraxis gerecht wird, aber dennoch die Tradition aufrechterhält. In diesem Fall beschränkt sich das Streckelegen auf wenige, spät und sauber erlegte Stücke (bspw. 1 Stück pro Wildart).
Jagdorganisation aus wildbrethygienischen Gesichtspunkten
Eine gewissenhafte und durchdachte Jagdorganisation entscheidet nicht nur über den jagdlichen Erfolg (Abschlussplanerfüllung), sondern auch darüber, ob die Strecke später als sicheres und einwandfreies Lebensmittel vermarktet werden kann. Die folgenden Darstellungen fassen die Herausforderungen für die Hygienepraxis auf einer Bewegungsjagd zusammen und zeigen die organisatorischen Konsequenzen auf (kursiv dargestellt).
Ein Umdenken ist notwendig
Um dem Konsumenten das beste Produkt der Jagd als sicheres und einwandfreies Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, ist in vielerlei Hinsicht ein Umdenken notwendig. Die Erkenntnis für die Relevanz der Thematik ist in der Jägerschaft durchaus vorhanden. Dies bedeutet aber noch nicht automatisch auch ein tiefes Verständnis sowie die notwendige Handlungsbereitschaft. Nur wer sich über die direkte Auswirkung seines Tuns im Klaren ist, kann auf Bewegungsjagden entsprechend sorgsam und weitsichtig agieren und ist bereit, bei Traditionen Abstriche zu Gunsten der Wildbrethygiene zu machen.
Der Jagdleitung kommt diesbezüglich eine besondere Verantwortung zu. Sie steht in der Pflicht, Aufklärung zu betreiben und Fehlverhalten konsequent zu reglementieren. Zudem muss sie die Organisation und den Ablauf der Jagd immer an den hohen Ansprüchen an die Wildbretqualität ausrichten. Aus Sicht der Jägerschaft ist der Zugang zu Weiterbildungsangeboten von zentraler Bedeutung. Diese müssen von den Jagdverbänden zur Verfügung gestellt werden. Dies ist im Hinblick auf die Durchsetzung und Etablierung möglichst hoher wildbrethygienischer Qualitätsstandards bei Bewegungsjagden besonders wichtig, da die Bereitschaft zu deren Umsetzung maßgeblich vom Wissensstand der Jägerschaft abhängt. Eine aktive Informationsbeschaffung sollte gemeinsam mit einer konsequenten Weiterbildung Teil unseres Selbstverständnisses als Jäger sein. Es geht dabei nicht nur um die Sicherheit des Konsumenten und ein genussvolles und hochwertiges Lebensmittel, sondern auch um das Image und die Akzeptanz der Jagd in der breiten Öffentlichkeit.
Nachtrag
Der WWF schreibt in seiner Studie „Nahrungsmittelverbrauch und Fußabdrücke des Konsums in Deutschland“ von 2015 zum Thema Wildbret:
Quellen
Birka, Stefan (2016): Möglichkeiten der Beeinflussung der mikrobiologischen
Wildfleischqualität auf Bewegungsjagden, Dissertation, Universität Leipzig, Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät.
Deutz, Armin (2012): Wildbrethygiene heute, BLV Buchverlag, München.
Deutz, Armin (2000): Die 10 Gebote der Wildbrethygiene; Tagung für die Jägerschaft, 15. u. 16.2.2000; Bundessanstalt für alpenländische Landwirtschaft Gumpenstein, Irdning (Hrsg.).
Landwirtschaftliches Zentrum für Rinderhaltung, Grünlandschaft, Milchwirtschaft, Wild und Fischerei in Baden-Württemberg (Hrsg.) (2011): Wildbrethygiene – Begleitheft zur landeseinheitlichen Schulung “Kundige Person“ nach EU-Recht.
Matthiesen, Imke (2013): Vorschläge zur Verbesserung der Wildbrethygiene bei Bewegungsjagden auf Schalenwild, Bachelorarbeit, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Life Science, Studiengang Ökotrophologie.
Paulsen, Peter; Ass.-Prof. Dr. (2016): Weichschüsse und Wildbrethygiene, Präsentation, Vet.med. Universität Wien.
Winkelmayer, Paulsen, Lebersorger, Zedka (2016): Wildbrethygiene – Das Buch zur Guten Hygienepraxis bei Wild; Zentralstelle Österreichischer Landesjagdverbände, Wien.
Sonstige Quellen
Einzelinterview Dr. Thomas Stegmanns, Jäger und Leiter des Veterinäramtes Stuttgart, Schulungsleiter „Kundige Person“ Baden-Württemberg, 4.12.17.
Weiterführende Links
www.Deutsches-Jagd-Lexikon.de
Fleischatlas 2021 der Heinrich-Böll-Stiftung
Beitragsfoto: Bjorn Bakstad on unsplash
Der Bericht ist ok und richtig.Ich kann mich jedoch in meinem 70 jährigen Jägerrleben nicht daran erinnern dass es Schwierigkeiten gab wenn die gewünschten Zeiten Erlegung Aufbruch überschritten wurden.Wenn bei Nachsuchen über Nacht die Stücke erst morgens gefunden wurden und der Fuchs bereits Keule und Rücken entnommen hatte,wurde ihm der Rest überlassen und nicht mehr verwertet.
Hallo Herr Schulze, es gibt sicherlich Regeln, die im Hinblick auf die Wildbrethygiene sinnvoll sind. Andererseits macht eine gesetzliche Überregulierung die Jagd nicht einfacher. Ich trage gesetzliche Vorgaben gerne mit solange sie sinnvoll sind und einen Beitrag zur Verbesserung der jagdlichen Praxis leisten. Falls dies nicht der Fall ist tue ich mich auch sehr schwer damit. Herzliche Grüße, Christine Fischer