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Um es gleich zu Beginn zu sagen: „Die Jagd in der Kunst“ hat im aktuellen, produktiven Kunstdiskurs absolut keine Relevanz, wenngleich es in letzter Zeit einige sehr schöne und erhellende Ausstellungen unter dem Sammelbegriff der „Jagd“ gegeben hat (1). Das war gewiss einmal ganz anders, denn sonst hätte das Motiv des „Röhrenden Hirschs“ (2) niemals echte Popularität erreichen können. Wir alle sehen unmittelbar ein bestimmtes, blattschussfähiges „inneres Bild“. Doch dieses Klischee hängt heute eher im Wirtshaus, welches auch ich sehr schätze, als in einer respektablen Sammlung, welche ich im angestrebten Kontext bevorzugen möchte.
Um beim Sujet der Jagd im Bild zu bleiben, trennen wir Banales und Dekoratives von wirklich Relevantem und schauen zunächst beispielhaft ins 19. Jahrhundert. Es war eine Epoche, die ihre Veränderungen im Eiltempo durchpeitschte. Sie reichte vom Ende des Barock mit ihrer Hochzeit fürstlicher Jagdkultur bis zum Beginn des ersten Weltkriegs und von den universalen Umbrüchen der französischen bis hin zur industriellen Revolution. Unser gesuchtes Bild von der Jagd findet sich demnach zwischen Eugènes Delacroix‘s berühmten, barbusigen „Freiheit für das Volk“ (1830) und der neuen Fotografie, etwa der eines August Sander, „Selbstportrait als Jäger“ (um 1910).
Mitten in diesem Durcheinander wächst der junge Gustave Courbet (geboren am 10. Juni 1819) auf eigenen Ländereien im französischen Jura heran. Einer Gegend von tiefen Wäldern, Grotten und rauhen Bachläufen.
Courbet versteht die Natur, kehrt immer wieder zu ihr zurück.
Courbet ist – das soll hier von Bedeutung sein – subversiver Maler und passionierter Jäger in einer Identität. Natürlich steht Courbet für sein skandalträchtiges Superlativ „L‘Origine du Monde“ (1866). Er gilt als der erste Avantgardist in der Kunst und als Wegbereiter der Moderne. Dem stehen unglaubliche ca. 130 (3) seiner Gemälde gegenüber, die dem Sujet der Jagdmalerei zuzuordnen sind. Herausragend ist dabei eine Serie, die als „Waidmännischen Trilogie“ Bekanntheit erlangte und die Courbet während seines einflussreichen Aufenthaltes in Frankfurt am Main im September 1858 begonnen hatte. Sie umfasst den „Hirsch am Wasser“/1858- 1861, den „Kampf der Hirsche“ oder „Frühlingsbrunft“ (was wildbiologisch natürlich Unsinn ist) /1861 sowie das „Durchgehende Pferd“/1861. Allesamt sehr großformig und meines Wissens nie wieder als Einheit gezeigt.
Im ersten Bild, „Durchgehendes Pferd“, haben Röntgenanalysen ergeben, dass ursprünglich ein Piqueur, also ein berittener Parforcejäger zu Pferde präsentiert wurde. Auch ist es an allen vier Seiten nachträglich beschnitten worden. Gerade das Verlorengegangene kommt hier erst durch die spürbare Abwesenheit des Piqueurs zur Geltung. Als hörte man nur die Trompe de Chasse als fernes Echo. Warum genau Courbet den Reiter im Nachhinein eliminierte, bleibt Spekulation. Man darf darin eine Widerspiegelung des damaligen Zeitgeistes vermuten, der Anfang des 19. Jahrhunderts dazu führte, dass in den deutschen Jagdrevieren die Parforcejagd generell aufgehoben wurde.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, das Gustav Courbet sein Model vermutlich selbst erlegt hat. Seinem Biografen Georges Riat zufolge, wartete er 1858 in Frankfurt auf die Eröffnung der Jagdsaison, um „einen Hirsch zu haben und eine schöne große Skizze fertigzustellen“. Bei dem Hirsch handelt es sich wahrscheinlich um jenes Exemplar, von dem in einem vom 8. Februar 1859 datierten Brief an seine Schwester Juliette ausführlich die Rede ist. So schreib er: „An Silvester habe ich etwas Herrliches erlebt. Auf einer Jagd erlegte ich in den Bergen Deutschlands (im Taunus natürlich) einen riesigen Hirsch, einen Zwölfender, das heißt einen 13 Jahre alten Hirsch. Es war der größte Hirsch, der seit 25 Jahren zur Strecke gebracht worden war.“
Courbet präsentierte seine „Waidmännische Trilogie“ in einer Art Triptychon auf dem Pariser Salon 1861. Neben dem „Kampf der Hirsche“ als Mittelstück hing rechts das Bild mit dem im Wasser stehenden Hirsch und links das „Durchgehende Pferd“. Die beiden erstgenannten Bilder entstanden unter dem Eindruck der Perforcejagden, an denen Courbet 1858 bei Frankfurt teilgenommen hatte. Die Landschaften fügte er vermutlich später in Frankreich hinzu.
Seine Gemälde mit Tiermotiven sind bemerkenswerte Beispiele einer Identifikation mit der leidenden Kreatur.
Zunächst steht der Hirschkampf formal im Mittelpunkt, doch es wäre nicht Courbet, wenn die Rezeption so einfach wäre. Denn die sekundären Gemälde, also die äußeren, scheinen substantiell die primären zu sein. Im Ganzen ist die Meute nur entfernt und kaum wahrzunehmen. Hirsch und Pferd sind vollkommen isoliert und gespiegelt dem Betrachter gegenüber gestellt. Courbet zwingt uns unmerklich, uns mit dem Hirsch, dem Gejagten, als Opfer zu identifizieren – wie auch in seinen zahlreichen Fuchsbildern (4).
Überhaupt erscheint mir die Dunkelheit, wie auch beim Hirschkampf, in diesen eigenwilligen Gemälden besonders beachtenswert. Keine sonnige Lichtung, keine wärmende, unverletzte Romantik. Das Motiv scheint nur Anlass für seine Malerei zu sein. Das Halblicht, die subtilen Farben in den Schatten (7), als würde das Halbdunkel die Sinne weiten, als wäre die Erfahrung in der Dämmerung eine tiefere (nicht nur Cezanne wird noch auf Courbets Farben in den Schatten zurückgreifen). Für ihn geht es kaum mehr um das unmittelbar Dargestellte, Nachgeahmte, für ihn geht es um die Malerei an sich, um die Dimension, die sich mit ihr eröffnet.
Courbet synchronisiert das Rollenverhältnis, die Tragweite des Geschehens. Die Emotionalisierung des erwarteten Schicksals steigert sich vom Naturalismus zum fühlbaren „Realismus“ (5), so wie Courbet selbst seine malerische Strategie spätestens ab 1855 bezeichnete. Der Hirsch ist nicht mehr nur naturalistisch, er und auch die Jagd selbst, werden Metapher einer komplexen äußeren Situation. Denn auch die Jagd, speziell die Parforcejagd, ist im 19. Jahrhundert Ausdruck eines sozialen Standes, der gerade die meisten seiner Privilegien verloren hatte. Wenige Jahre zuvor wurden im „Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“ (1848, Paragraf 37), das Vorrecht der Landesherren und des hohen Adels, auf fremdem Grund und Boden zu jagen, aufgehoben (6). Ähnlich verlief es in Frankreich infolge der Revolution von 1789. Courbet war sich den tiefgreifenden Veränderungen, dem Machtwechsel und der Bedrohungen seiner Zeit bewusst. Auch das verarbeitete er nach seinen Möglichkeiten. Ein Mann wie Courbet ist nun mal beides: bedingungsloser Freigeist (ein nachhaltiger Konflikt mit der Französischen Regierung wird ihn ins Exil bringen) und gleichzeitig Sohn eines überkommenen Standes.
Gustav Courbet ist nicht nur wegen seiner malerischen Neuerungen ein überragender Maler, sondern auch aufgrund seiner inneren Haltung und seiner ureigenen Moral. Bleibt zu sagen: Er, der Maler, er der Weidamann ehrt das Wild. Nicht mit heroischen Darstellungen, ganz im Gegenteil. Gustave Courbets Malerei ist voller Empathie für die Kreatur, die Natur, das Leben.
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1. Ausstellung im Bündner Kunstmuseum, Chur / Passion, Bilder von der Jagd. 2019.
Dazu erschienen ist ein sehr zu empfehlender Katalog.
Ausstellung im Albertinum, Dresden / Rayski und die Jagd. 2019
2. Röhrender Hirsch
3. Dr. Gilbert Titeux / PDF online / Die Jagddarstellungen in Gustave Courbets Malerei.
4. Hierzu auch Courbet Füchse in Schlagfallen / Le renard pris au piège, 1860. Musee Courbet, Ornans.
5. Neben dem offiziellen Salon in Paris von 1855 ließ Courbet einen eigenen Pavillon aufbauen um seine Malerei der Öffentlichkeit zu präsentieren. Er benannte seine Ausstellung „Der Pavillon des Realismus“.
6. Parforcejagd
Nikola Julius Ritter, Jahrgang 1966, ist Experte für frühes Meissener Porzellan. Aus seiner Jagdaffinität ist ein spezielles Interesse für das Weidwerk im Kontext zeitgenössischer Kunst entstanden. Ihr findet Nikola auf Instagram unter: /camo_dor/ und weitere Expertisen demnächst unter camodor.com
Beitragsfoto: Der Hirsch am Wasser (1858-1861), Musée des Beaux-Arts Marseille, von Gustave Courbet, alamy.de
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