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Titel der Studie: Reproductive potential of free-living wild boar in Central Europe / Fortpflanzungspotential frei lebender Wildschweine in Mitteleuropa (2019)
Autoren: Jakub Drimaj, Jiří Kamler, Martin Hošek, Radim Plhal, Ondřej Mikulka, Jaroslav Zeman, Karel Drápela
Fakten und Erkenntnisse
- Umweltbedingungen haben einen erheblichen Einfluss auf die körperliche Verfassung von Frischlingen, Überläufern und adulten Sauen.
- Geringe Lebensraumqualiät führt zu einer früheren Pubertät der Wildschweine.
- Die durchschnittliche Wurfgröße betrug in der Studie 4,08 bei unter 1jährigen Sauen, 5,83 bei Überläufer-Bachen und 7,01 bei adelten Sauen.
- Das Geschlechterverhältnis der Frischlinge wird vom körperlichen Zustand der Mutterbache beeinflusst.
- Ca. 95% der Bachen werden während der nicht-vegetativen Winter-Jahreszeit beschlagen.
- Der durchschnittliche jährliche Zuwachs beträgt 5 Frischlinge pro Bache oder 3 Frischlinge pro Wildschwein, das den Winter überlebt hat.
- Die hohe Fruchtbarkeit (Polyestrizität) der Wildschweine ermöglicht ihnen die Wiederholung der Brunftzeit, falls die Empfängnis fehlschlägt oder alle Frischlinge kurz nach der Geburt sterben.
- Nach 115 Trächtigkeitstagen bringen die weiblichen Sauen durchschnittlich 3 – 7 Frischlinge zur Welt.
- Bachen können die Pubertät zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat und Keiler um den 7. Lebensmonat erreichen.
- Frischlinge aus nahrungsarmen Gebieten erreichen früher die Pubertät und haben ein geringeres Körpergewicht als Frischlinge aus Umgebungen mit hoher Tragfähigkeit.
- Eine Trächtigkeit wurde ab einem Alter von 7 Monaten beobachtet.
- Das Geschlechterverhältnis wird durch den körperlichen Zustand der Mutterbache beeinflusst. Mit besserer körperlichen Verfassung nahm die Anzahl weiblicher Föten ab, während die Anzahl männlicher Föten zunahm.
Ausgangslage
Das Fortpflanzungspotential der mitteleuropäischen Wildschweinpopulation ist hoch. Heute leben Wildschweine in vielen Regionen in einer Populationsdichte von mehr als einem Exemplar pro Quadratkilometer und ihre Population wächst nachhaltig. Derzeit ist die größte Bedrohung im Zusammenhang mit der hohen Dichte der Wildschweine die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest (ASP). Sie würde zu massiven finanziellen Verlusten in der deutschen Fleischindustrie führen (Anmerkung: Bundesagrarministerin Julia Klöckner bestätigte am 10.9.2020 den ersten ASP-Fall auf deutschem Gebiet im Landkreis Oder-Spree). Je mehr Wildschweine wir haben, desto größer sind ihre Auswirkungen auf die Umwelt. In Anbetracht der Verhinderung der Ausbreitung des Afrikanischen Schweinepest (ASP) und ihrer Folgen ist es wichtig, die Population des Wildschweins auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren. Hierfür ist es notwendig, die Reduktionszahlen der einzelnen Populationen festzulegen. Die Zahlen hängen von der anfänglichen Populationsgröße und der Wachstumsrate ab. Diese werden unter anderem durch die Tragfähigkeit der Umwelt, die Bereitstellung von Ergänzungsfuttermitteln und die Fütterung an Kirrstellen zur Unterstützung der Jagd beeinflusst. Die Bemühungen, die gegenwärtige Populationszahl zu reduzieren , werden erschwert durch die Tatsache, dass die Wildschweine in Mitteleuropa äußerst geeignete Lebensbedingungen vorfinden. Wildschweine sind Allesfresser und profitieren von einer breiten Nahrungspalette, die das ganze Jahr über eine qualitativ hochwertige Ernährung gewährleistet. Sie sind außerdem flexibel in ihrer Futterauswahl und ihre Ernährung ändert sich je nach Jahreszeit und Umweltbedingungen erheblich.
In einer Umgebung ohne künstliche Nahrungsquellen wird das Populationswachstum hauptsächlich durch die jährliche Verfügbarkeit natürlicher Nahrungsmittel (insbesondere Eicheln und Bucheckern) beeinflusst. Theoretisch ist die Jagd derzeit das einzige nützliche und potenzielle Instrument für seine Regulierung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Jagd, wie sie von europäischen Jägern praktiziert wird, eine begrenzte Rolle bei der Reduktion von Wildschweinen spielt. Die Effizienz der Jagdmethoden muss daher verbessert werden und es braucht eine Untersuchung der Faktoren, die die hohe Fortpflanzungsfähigkeit der Wildschweine beeinflussen. Die Brunft erreicht im November und Dezember ihren Höhepunkt. Während dieser Zeit treten adulte Bachen in ihre Brunftperiode ein, gefolgt von Überläuferbachen, die ihr minimales Fortpflanzungsgewicht erreicht haben. Ihre Fruchtbarkeit (Polyestrizität) ermöglicht die Wiederholung der Brunftzeit, falls die Empfängnis fehlschlägt oder alle Frischlinge kurz nach der Geburt sterben. Nach 115 Trächtigkeitstagen bringen die Bachen durchschnittlich 3 – 7 Frischlinge zur Welt. Bachen können die Pubertät zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat und Keiler um den 7. Lebensmonat erreichen.
Übersicht
Ziel dieser Studie war es, das Fortpflanzungspotential von Wildschweinen in der Tschechischen Republik im Hinblick auf die bestehenden Umweltbedingungen in den Jahren 2014 – 2019 zu analysieren. Die Fortpflanzungsmerkmale von Wildschweinen wurden an 37 Orten in der Tschechischen Republik von erlegten Tieren gesammelt. Bevorzugt wurden Orte, an denen alle Altersgruppen von Wildschweinen erlegt werden konnten. Es wurden in fünf Jagdperioden (2014 – 2019) von Oktober bis Ende Januar Proben genommen. Die Untersuchungsgebiete wurden nach Umweltbedingungen in fünf Gruppen eingeteilt (Tabelle 1 ). Die untersuchten Standorte wurden je nach Verfügbarkeit von Nahrungsquellen in fünf Gruppen eingeteilt: Food-poor area, Food-low area, Food-middle area, Food-rich area und Food and peace area.
Nach Keuling et al. sind Wildschweine ihrem Geburtsort relativ treu: ihre durchschnittlichen Streifgebiete umfassen zwischen 100 und 7000 ha mit einem Mittel von etwa 800 ha (Keuling et al. 2008 ). Innerhalb der Untersuchungsgebiete für die Gruppen 2 – 5 wurden die Wildschweine von Herbst bis Frühjahr gefüttert. Am Standort der Gruppe 1 (Food and peace area / „Nahrungs- und Ruhegebiet “) herrschten besonders günstige Bedingungen für die Wildschweine. Die natürlichen Nahrungsquellen und die Meereshöhe entsprachen zwar einem nährstoffarmen Gebiet, aber die Wildschweine wurden das ganze Jahr über ausreichend im Wald gefüttert und nicht durch regelmäßige Jagdaktivitäten gestört. Die Körpergröße wurde anhand des Lebendgewichts und des Gewichts nach dem Aufbrechen (in kg) sowie der Körperlänge (in cm) bestimmt. Der körperliche Zustand der Tiere wurde mit Hilfe der Höhe des Rückenfetts dargestellt (gemessen auf der 12. Rippenhöhe). Das Alter der Bachen wurde basierend auf der Zahnentwicklung und -eruption auf wenige Monate genau geschätzt. Es fand eine Einteilung der weiblichen Tiere statt: Frischlinge (3 – 12 Monate), Überläufer-Bachen (13 – 24 Monate) und adelte Sauen (über 24 Monate).
Basierend auf den Ergebnissen der Studie und der Langzeitbeobachtungen mehrerer Wildschweinpopulationen (Geschlechter- und Altersklassenverhältnisse) wurde ein Modellbeispiel für die Zunahme der Wildschweinpopulation in der Tschechischen Republik entwickelt.
Frischlinge
Die Umweltbedingungen hatte einen erheblichen Einfluss auf den Zustand der Frischlinge. Der Konditionsindex war im nahrungsreichen Gebiet (food-rich area) und in dem „Nahrungs- und Ruhegebiet“ (food and peace area) am besten. Frischlinge aus den Gebieten mit mittlerer Nahrungsverfügbarkeit (food-middle area) und niedriger Nahrungsverfügbarkeit (food-low area) erreichten durchschnittliche Werte. Die Frischlinge aus dem Gebiet mit der schlechtesten Nahrungsverfügbarkeit (food-poor area) erreichten den schlechtesten Zustandsindex. Von allen untersuchten Frischlingen waren 23% präpubertär. Der Eisprung wurde bei Frischlingen ab einem Alter von 7 Monaten und einem Gewicht von 19 kg nach dem Aufbrechen (ca. 26 kg Lebendgewicht) dokumentiert. In Umgebungen mit geringer Tragfähigkeit erreichten die Frischlinge ihre Pubertät früher. Frischlinge aus nahrungsarmen Gebieten (food low area, food poor area) erreichten einen Monat früher die Pubertät und hatten ein geringeres Körpergewicht als Frischlinge aus Umgebungen mit hoher Tragfähigkeit (food rich area, food and peace area). Die jüngste tragende Bache war 8 Monate alt und ihr Gewicht nach dem Aufbrechen betrug 27 kg. Sie hatte drei Frischlinge in der Gebärmutter. Diese waren 1 Monat alt, was bedeutet, dass sie im Alter von 7 Monaten beschlagen wurde. Sieben Monate gelten als Mindestalter für eine erfolgreiche Beschlagung.
Überläufer und adulte Sauen
Die Lebensraumqualität hatte einen geringeren Einfluss auf den Körperzustand älterer Tiere als auf den Zustand von Frischlingen. Bei Überläufern, die in nahrungsarmen Gebieten leben, wurde eine durchschnittlich 30% geringere Rückenfettschicht beobachtet als bei Bachen aus nahrungsreichen Gebieten. Bei adulten Sauen betrug dieser Unterschied 13,5%. Sowohl Überläufer als auch erwachsene Sauen aus dem Gebiet „ Nahrung und Ruhe “ hatten eine signifikant höhere Fettmenge als Weibchen aus anderen Lebensräumen. Überläufer wie adulte Sauen wurden im November und Dezember beschlagen. Anfang Januar waren mehr als 90% der weiblichen Tiere über 1 Jahr trächtig. Die Anzahl der Embryonen in der Gebärmutter variierte erheblich. sie erreichte einen Durchschnitt von 5,83 für Überläuferbachen und 6,3 für erwachsene Sauen. Das Geschlechterverhältnis wurde durch den körperlichen Zustand der Mutter beeinflusst. Mit zunehmendem Zustandsindex nahm die Anzahl weiblicher Föten ab, während die Anzahl männlicher Föten zunahm.
Der Beitrag junger und erwachsener Sauen zur Fortpflanzung der Population wird durch die Kombination ihrer Wurfgröße und der Anzahl der trächtigen Bachen bestimmt. Auch wenn junge Bachen eine kleine Wurfgröße haben, kann dies dennoch einen wichtigen Beitrag zur Fortpflanzung leisten, da ihr Anteil an der Wildschweinpopulation recht hoch ist. Darüber hinaus zeigen junge Bachen auch eine bessere Fortpflanzungsfähigkeit. Unsere durchschnittliche untersuchte Frischling aus der Studie (30 – 39 kg Lebendgewicht) brachte 4,75 Frischlinge (0,13 Ferkel / kg Mutter) zur Welt, während erwachsene Sauen mit doppeltem Gewicht (60 – 69 kg Lebendgewicht) nur etwa 1,48 Frischlinge mehr zur Welt brachten (0,09 Ferkel / kg der Mutter).
Fazit
Im Allgemeinen hängt das Körpergewicht von Wildschweinen stark von ihrem Alter, ihrer Gesundheit, ihrem gesamten Körperrahmen, der genetisch bestimmt ist, ab und kann auch ortsspezifisch sein. Wildschweine weisen das ganze Jahr über erhebliche Gewichtsschwankungen aufgrund von Änderungen des Fettgehalts auf. Im Allgemeinen wurde bestätigt, dass der Zustandsindex mit zunehmender Höhe des Lebensraums abnimmt. Das individuelle Körpergewicht reagiert sehr empfindlich auf die Nahrungsverfügbarkeit und die Lebensraumqualität. Adulte Bachen aus dem Nahrungs- und Ruhegebiet (food and peace area) hatten einen um 15% höheren Zustandsindex als Bachen aus dem nahrungsreichen Gebiet (food rich area).
Die Brunftzeit adulter Bachen war während der Hauptreproduktionszeit ziemlich synchron und dauerte ungefähr 3 Monate. Es wurde festgestellt, dass erwachsene Bachen das ganze Jahr über in die Brunft kommen können; Allerdings ist der Anteil der außerhalb von März bis Juli geborenen Würfe unbedeutend. Die Studie bestätigt, dass Wildschweine ihre Fortpflanzungsstrategie in der Kulturlandschaft nicht grundlegend geändert haben. Es sind allerdings mehr weibliche Frischlinge in ihrem ersten Lebensjahr an der Fortpflanzung beteiligt, weshalb ihre Brunftzeit bis zum Ende des Winters verlängert wird. Die meisten Frischlinge (75%) werden von März bis Juli geboren.
Im Allgemeinen konnte die Studie verdeutlichen, dass die Wurfgröße in den europäischen Ländern variiert und weitgehend von der Größe und dem Alter der Mutterbachen beeinflusst wird. Die in der Studie in Tschechien vorgefundenen Wurfgrößen sind denjenigen in Deutschland sehr ähnlich und zeigen einen bedeutenden Unterschied zwischen erstmaligen Müttern (4 Frischlinge) und erwachsenen Bachen (6 Frischlinge). Das Geschlechterverhältnis des Föten bestätigt die Annahme, dass Mütter in schlechter körperlicher Verfassung mehr Aufwand in ihre weiblichen Nachkommen investieren, da sich die in die Pflege investierte Energie in einem schnelleren Populationswachstum auszahlt.
Bei adulten Bachen kann erwartet werden, dass fast alle von ihnen am Fortpflanzungsprozess teilnehmen. An den untersuchten Standorten waren bis Ende Januar fast alle trächtig, unabhängig von der Nahrungsversorgung. Der Fortpflanzungserfolg von Müttern im ersten Lebensjahr ist ein bedeutender und teilweise variabler Faktor, der die Zunahme der gesamten Wildschweinpopulation beeinflusst. Neuere Studien zeigen, dass weibliche Frischlinge im ersten Lebensjahr sexuell reifen und unter optimalen Bedingungen ein großer Teil von ihnen aktiv an der Fortpflanzung beteiligt ist. Die langfristige Verfügbarkeit von Futter kann auch dazu führen, dass die Wildschweine außerhalb ihrer Hauptreproduktionszeit in die Brunft geraten. Die untersuchten Frischlinge erreichten ihre Geschlechtsreife in Umgebungen mit geringfügig schlechteren Ernährungsbedingungen früher als in Umgebungen mit reichhaltiger Nahrungsversorgung.
Von den eruierten Daten wurde abgeleitet, dass sich 90% der weiblichen Frischlinge innerhalb ihres ersten Lebensjahres bereits vermehren, im Alter von 7 bis 10 Monaten trächtig werden und ihr Wurf zwischen Mai und Juli geboren wird. Dies bedeutet, dass die meisten von Dezember bis Mai geborenen Frischlinge von Überläufern und adulten Sauen stammen und später geborene Frischlinge entweder von 1-jährigen Bachen oder von einem sekundären Wurf.
Um eine stabile Wildschweinpopulationsgröße aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, im Winter vor Beginn der Wurfzeit eine langfristige, intensive jährliche Reduzierung aller Altersklassen vorzunehmen. Es ist sicherlich nicht möglich, sich nur auf die Eliminierung der adulten Bachen zu konzentrieren. Junge Bachen können den Verlust schnell ersetzen. Die jadgdlichen Bemühungen, die Population zu reduzieren, indem nur Frischlinge erlegt werden, sind noch weniger effektiv, da die fruchtbarsten und erfahrensten weiblichen Tiere übrig bleiben würden. Darüber hinaus würde eine frühe Jagd auf den gesamten Wurf einer Bache dazu führen, dass sie die Laktation beendet und in optimaler körperlicher Verfassung wieder in den Brunftzyklus eintritt.
Quelle: European Journal of Wildlife Research (2020) 66:75, https://doi.org/10.1007/s10344-020-01416-8, Springer-Verlag GmbH Deutschland, Teil der Springer Nature 2020
Beitragsfoto: Michal Renčo auf pixabay
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