Interview

„Im Artenschutz setzen wir falsche Akzente“ – Wildbiologe Dr. Daniel Hoffmann

Lesezeit: 15 Minuten

Dr. Daniel Hoffmann ist Dipl. Biogeograf und geschäftsführender Vorstand des anerkannten Naturschutzvereins Game Conservancy Deutschland. (Foto: G.C.D.)

Dr. Daniel Hoffmann von der Game Concervancy Deutschland (G.C.D.) ist europaweit einer der führenden Experten in den Bereichen Wildbiologie und Jagdforschung. Sein Anliegen ist es, die Biodiversität im Einklang von Ökologie und Ökonomie zu fördern sowie die Artenvielfalt zu erhalten und auszuweiten. Im Interview mit HIRSCH&CO findet er klare Worte zum Zustand des Arten-und Naturschutzes in Deutschland, zu „Waldumbaufantasien“ der Forstwirtschaft und zur fehlenden politischen Wertschätzung für die Leistung der Jägerschaft. Er geht hart ins Gericht mit der grünen „Natur-Frevler-Partei“ und erklärt, warum Rehe nicht schuld an den waldbaulichen Problemen sind.

Herausforderung Jagdwirtschaft und Waldumbau

Verhindern Rehe tatsächlich einen erfolgreichen Waldumbau, wie es von bestimmten Kreisen lautstark verkündet wird?
Nein! Damit wäre die Frage tatsächlich schon beantwortet, denn alle Waldumbaufantasien haben kein definiertes Ziel. Es ist ein klimastabiler Wald gefordert, den niemand definieren kann – oder will. Es genügt vielen „Waldumbauern“ die Forderung in den Raum zu stellen, denn Politik und Medien springen willfährig auf den Zug auf. Ein Schuldiger wird dann auf jeden Fall gefunden, wenn irgendetwas nicht so eintrifft, wie es nach der Meinung von mehr oder weniger begabten Holzproduzierern sein sollte. Das Reh ist ein Profiteur unserer Kulturlandschaft – jedenfalls bis heute – und kann und soll auch dort bejagt werden, wo ein wirtschaftlicher oder ein artenvielfaltsrelevanter Druck entstehen kann. Da das Reh jedoch nur in einer Pflanzenhöhe von bis zu maximal 90cm relevant bei Gehölzpflanzen eingreifen kann, kann sich ein Eingriff auch nur auf solchen Flächen auszahlen.

Wer künstlich Pflanzen in einen Waldkomplex, z.B. durch Pflanzung einbringt, kann nicht erwarten, dass die angestammte Fauna des Waldes diese neue Nahrungsangebot nicht annimmt. Auf solchen Flächen ist dann eine Intensivbejagung oder Zäunung erforderlich – allerdings weniger, da die Rehe wie nach Ansicht mancher Forstleute und Politiker nicht in unsere Kulturlandschaft gehören, sondern weil der Mensch aus primär wirtschaftlichen oder pseudonaturschutzfachlichen Überlegungen heraus nicht davon ausgehen sollte, dass seine künstlichen Habitate von der belebten und unbelebten Natur unbeeinflusst wachsen können oder müssen. 

Das wiederkäuende Schalenwild ist in den letzten Jahren massiv unter Druck geraten. Wie können wir unter diesen Umständen eine tierethische und weidgerechte Jagd aufrechterhalten?
Der Druck auf das wiederkäuende Schalenwild besteht schon über ein halbes Jahrhundert. Seitdem sollte es eigentlich gelungen sein, der Problematik mit der immergleichen Methode – dem erhöhten Abschuss – entgegenzuwirken. Tatsächlich ist es auch gelungen, dass in den allermeisten Wäldern der letzten drei Jahrzehnte Verbiss und Schäle reduziert wurden.

Fichten, die vor 50 Jahren vielerorts geschält wurden und abstarben, wurden nach Neuanpflanzung in den letzten Jahren durch den Borkenkäfer eliminiert. Der Effekt ist ähnlich, nur dass die Ausfälle durch den Borkenkäfer viel umfangreicher und schneller erfolgt sind. Dennoch ist das für das Ökosystem Wald kein grundsätzliches Problem. Es wird sich ohne Zutun ein Primärwald bilden, der sich dann den Umweltbedingungen entsprechend weiterentwickeln wird. Eine Regulation des Schalenwildes mit vor allem lokalisiertem Eingriff ist dabei durchaus sinnvoll und angebracht.

Eine zukunftsorientierte Jagd, die auch das Wirtschaftsgut Holzwirtschaft berücksichtigt, tut gut daran, Jagd- und Ruhebereiche zu definieren. 

Dies kann nicht staatlich verordnet sein, sondern sollte vor Ort entschieden und umgesetzt werden. Beispiele, dass gesunde Wildtierpopulationen, Waldbau und Waidgerechtigkeit (im engeren Sinne Tierschutz) einhergehen können und dabei die gesamte Biodiversität des Wirtschaftswaldes erhöht oder mindestens erhalten werden kann, gibt es in der Praxis zahlreich. 

Warum ist der viel zitierte Wald-Wild-Konflikt ein Mythos?
Der Begriff Mythos würde diese Differenzen bezüglich der Bedeutung von Pflanzenfressern für das Ökosystem Wald deshalb treffen, weil viel Erfundenes dabei ist. 

Wald und Wild können nach Auffassung der G.C.D. nicht in Konflikt stehen, da Wild ein Teil des Ökosystems Wald ist.

Es ist demnach ein Forst-Wild Konflikt. Hier geht es gerade in der jüngsten Vergangenheit auch um Deutungshoheiten. Es hat sich der Kunstbegriff „klimastabiler Wald“ eingenistet, den jedoch niemand definieren kann, da es um etwas geht, was in einer unbestimmten künftigen Zeit unter derzeit unbestimmbaren klimatischen Bedingungen möglicherweise eintreten wird. Wissenschaft mit so vielen Unbekannten hat tatsächlich viel mit Mythologie zu tun.

Für einige Tierarten ist die Radiotelemetrie bis heute die Methode der Wahl, um Verhalten und Habitatnutzung von Individuen zu untersuchen. (Foto: Daniel Hoffmann)

Zum gut 40 Jahre dauernden realen Konflikt lässt sich sagen: Im Wesentlichen gab es Situationen, in denen hohe Wilddichten eine Naturverjüngung sehr beeinträchtigten durch Verbiss, Schäle und teilweise durch Fegen. In den meisten Revieren sieht die Situation heute aber deutlich anders aus und eine Naturverjüngung kann fast überall entstehen – auch wenn es nicht immer den Wünschen und Ideen von Forstleuten entspricht. Wenn in einem Biotop der Kulturlandschaft – nichts anderes sind auch unsere Wälder – ein bestimmtes Wirtschafts- oder auch Schutzziel erreicht werden will, bedarf es eines gerichteten Eingriffs. Dies gilt im Übrigen auch für Ackerbau, den Niederwildschutz, viele Naturschutzgebiete und ebenso für die Weidewirtschaft, wenn der Wolf plötzlich wieder die Bühne der Kulturlandschaft betritt.

Gelernt sollte man allerdings haben, dass es nie nur einen Faktor Wirksamkeit gibt, sondern dass in der Regel komplexe Anforderungen an den Bewirtschafter gestellt werden, will er sein wirtschaftliches oder naturschützerisches Gut sichern. Wenn demnach die Forstwirtschaft das Allheilmittel zur Generierung von mehr Gewinn in der ungerichteten Erhöhung von Abschüssen sieht und dies seit 40 Jahren Praxis allenfalls mäßige oder nur sehr lokale Erfolge zeitigt, sollte man in Betracht ziehen, dass wahrscheinlich auch andere Faktoren ein Rollen spielen. Insofern ist der Forst-Wild-Konflikt real, wird aber vielerorts mit unreflektierten, simplifizierenden und unpräzisen Ansätzen umso vehementer angegangen. Der Wald-Wild-Konflikt ist zunächst aber tatsächlich Mythos. 

Welche Rolle spielt die Forstwirtschaft im Hinblick auf den desolaten Zustand der Wälder?

Wälder sind in Deutschland oder Österreich grundsätzlich nicht in einem desolaten Zustand.

Sie verändern sich nur gerade vielerorts recht eindrücklich dadurch, dass sich klimatische Voraussetzungen wandeln, dass Krankheiten und Schadinsekten sich vermehren oder im Zuge unaufhaltsamer Globalisierung einwandern. In dieser Folge brechen autochthone Baumbestände ein, wie Eschen, Ulmen und weitere Arten deutlich zeigen. Wenn Trockenheit und Borkenkäfer zusammenwirken, wird dann nun wirklich jedem ersichtlich, was mit reinen Fichtenkulturen passieren kann. Letztere sind aus wirtschaftlicher Perspektive zu Recht angelegt worden und waren ja auch über Jahrzehnte ein gesamtwirtschaftliches Erfolgsmodell.

Monokulturen sind aber immer nur so lange erfolgreich, wie die Rahmenbedingungen recht stabil bleiben. Ändern sich einzelne Parameter im Ökosystem kann dies fatale Folgen haben. Das Ökosystem wird sich allerdings wieder regenerieren, auch wenn dies im Hinblick auf die Lebenserwartung von Menschen lange dauert und unter forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten das Aus bedeutet.

Es darf nicht vergessen werden, dass unsere heutigen Wälder recht junge und anpassungsfähige Systeme sind, die sich erst nach der letzten Eiszeit vor wenigen Tausend Jahren etabliert haben. Die Arten darin sind in der Regel zu schneller Ausbreitung in der Lage und sind anpassungsfähig. Betrachtet man die Entwicklung der Vogelfauna in den Wäldern über die letzten 25 Jahre ist festzustellen, dass die Diversität der Avifauna (Anmerkung: die Gesamtheit aller in einer Region vorkommenden Vogelarten) relativ stabil geblieben ist. Desolat liegt damit sehr im Auge des Betrachters.

Sind forstliche Gutachten geeignet, um belastbare Aussagen für die zukünftige Entwicklung bestimmter Bestände herzuleiten?
Nein, sicher nicht. Sie könnten jeweils den Ist-Zustand beschreiben, wenn sie nicht nur Art-differenziert sondern auch Pflanzendichte-orientiert arbeiten würden. Die Zukunft unserer Kulturlandschaft und ihrer Artenzusammensetzung hängt von zu vielen Faktoren ab, als dass dies durch ein relativ simples Gutachtenverfahren prognostiziert werden könnte. 

Die Jägerschaft spielt im Kontext des Waldumbaus eine Schlüsselrolle. Wie füllen wir diese Rolle am besten aus?
Waldumbau würde eine besondere Aktivität durch den Menschen verlangen, womit es eher ein Forstumbau sein wird. Es wird erwartet, dass der Wald in Zukunft eine bestimmte Nutzungsleistung zu erfüllen hat. Wenn innerhalb eines Ökosystems eine bestimmte Nutzung erfolgen soll oder es sollen sich bestimmte Pflanzen oder Tiere dort einstellen, erfordert dies immer einen Eingriff des Menschen. Pflanzen haben sich immer mit Pflanzenfresser, Parasiten, Krankheiten usw. auseinanderzusetzen. In allen Formen der Primärwirtschaft hat der Mensch dazu über Jahrtausende komplexe und vielfältige Strategien entwickelt. In der Landwirtschaft, der Fischerei und der Jagd gibt es nicht das eine Problem, das angegangen werden muss, um erfolgreich Nahrungs- oder Futtermittel oder auch Artenvielfalt zu produzieren.

Erstaunlicherweise glauben weite Teile der Forstwirtschaft, dass ausgerechnet ihr Arbeitsfeld mit nur einer einzigen Lösungsstrategie auskommen und zum Erfolg führen wird. Zur Kernfrage zurückkommend, ob die Jägerschaft einen Teil in der Stabilisierung von wiederkäuenden Pflanzenfressern beitragen kann, ist diese Frage de facto nicht zu beantworten, denn es ist ja schon fragwürdig, warum etwas stabilisiert werden soll, was seit Jahrmillionen im ständigen Fluss ist. Aber wenn die Jägerschaft den Auftrag hat, ein ökosystemangerechtes Management mit regional definierten Zielen umzusetzen, ist das möglich. Der Erfolg hängt natürlich an den Akteuren, aber es ist sicher zu simplifizierend, dass „alles totschießen“ eine besondere Leistung zum Erhalt eines Ökosystems darstellen würde. Das Erlegen von Tieren ist immer nur ein Teil von Jagd und damit auch von Wildtiermanagement. Dazu gehört ein deutlich größeres Portfolio als das von einigen Jagdscheininhabern mit in pseudoökologischer Wunschvorstellung gefordertem wahl- und systemlosen Umbringen von Pflanzenfressern.  

Dr. Daniel Hoffmann bei de Besenderung eines Rothirsches mittels GPS-Telemetrie. Sowohl in Tirol als auch in Rheinland-Pfalz und dem Saarland wurden zahlreiche Rotwildindividuen besendert. (Foto: Daniel Hoffmann)

Symbiose Wissenschaft und Jagdpraxis

Vernetzung und Kooperation sind heute wichtige erfolgsversprechende Faktoren. Mit welchen Partnern agiert die G.C.D.?
Die G.C.D. arbeitet schon seit der Gründungsphase mit wissenschaftlichen Institutionen zusammen und hat dies auch in der Satzung mitaufgenommen. Einer der Gründungsväter des G.C.D. war Prof. Dr. Dr. Paul Müller. Er war Leiter des Instituts für Biogeographie der Universität des Saarlandes, später der Universität Trier. So ist es bis heute der Normalfall, dass die G.C.D. mit verschieden Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen kooperiert. Zu nennen sind die HAWK in Göttingen, die TU München, das FIWI der Vetmed. Uni Wien sowie die BoKu in Wien.

Masterarbeiten wurden bereits in Zusammenarbeit mit dem Senckenberg Deutschen Institut für Entomologie in Müncheberg sowie der Hochschule Erlangen-Nürtingen sowie der Uni Tübingen vergeben. Neben der rein fachlichen Anbindung, die für die anspruchsvollen Projekte notwendig ist, werden Kontakte auch zu anderen Verbänden gepflegt. Verschiedene Jagdverbände in Deutschland und Österreich, Bauernverbände und Verbände der Grundeigentümer sind z.T. Mitglieder der G.C.D. und es besteht ein regelmäßiger Austausch. Gute Kontakte bestehen auch zum Game and Wildlife Conservation Trust in Großbritannien.

In welcher Form und auf welchen Wegen fließen die Ergebnisse Eurer Studien in die jagdwirtschaftliche Praxis mit ein? 

Der Transfer von einer wissenschaftlichen Studie in die Praxis ist immer eine große Herausforderung.

Da stößt ein relativ kleiner Verein mit begrenzten Ressourcen leicht an die Grenzen. Durch Veröffentlichungen und Vorträge kann man einiges erreichen, aber es ist ein langer Weg. Bei Fragen zum Schalenwild oder Großraubwild ist die G.C.D. in Deutschland seltener eingebunden und angefragt, obwohl eigene Studien zur Satellitentelemetrie von Rotwild, populationsbiologische Berechnungen zu verschiedenen Schalenwildarten, Wölfen, wie auch Wildschwein und Verbissstudien durchgeführt wurden. Hier ist der gut gefüllte Markt an Experten und auch die Ideologie sicher ein Hemmschuh, dass rein fachliche Beiträge seltener angefordert sind.

Feldhasen sind seit über 20 Jahren Gegenstand der Forschung der Game Conservancy Deutschland. Mit dem FIWI der Vetmed. Uni Wien sind über 400 Feldhasen über einen Zeitraum von 10 Jahren pathologisch auf der Nordseeinsel Pellworm untersucht worden. (Foto: Daniel Hoffmann)

Im vergangenen Jahr konnten unsere Daten und Ausführungen jedoch in Brandenburg, Thüringen, Tirol, der Steiermark und in Tschechien teils mit großer Resonanz vorgetragen werden. Dies führt dann schon zur Berücksichtigung in Gesetzgebungsverfahren oder bei manchem auch in der jagdlichen Praxis im eigenen Revier.

Beim Niederwild und dem Artenschutz in der Agrarlandschaft hat sich die G.C.D. schon weiter etablieren können. Für viele Niederwildjäger ist die G.C.D. ein wichtiger Ratgeber und in Bayern haben die Beetle Banks auf Initiative der G.C.D. in das KULAP (Bayerisches Kulturlandschaftsprogramm) geschafft. Andere Bundesländer – auch in Österreich – streben ähnliches an. Die G.C.D. hat sicher auch mit dazu beigetragen, dass Niederwildschutz und Artenschutz heutzutage als eine Einheit wahrgenommen werden. Auch in Schottland war die G.C.D. aufgrund eines einzigartigen Projekts in das jagdliche Gesetzgebungsverfahren in Edinburgh sehr aktiv eingebunden.

Welche Rolle spielen Jägerinnen und Jäger für die Wissenschaft?

Eine gut aus- und weitergebildete Jägerschaft kann einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaft leisten.

Einerseits können Jäger beim unversehrten Fang von Wildtieren helfen, aber insbesondere das Potenzial, Wildtiere zu erfassen und zu zählen oder Populationen einzuschätzen ist von besonderem Wert. Hier sind in Deutschland des Wildtierinformationssystem der Länder Deutschlands (WILD) des Deutschen Jagdverbandes zu nennen, das unter anderem auf das Engagement und die Idee von Prof. Dr. Dr. Paul Müller zurückgeht. Über viele Jahre habe auch ich das Projekt WILD mitentwickelt und letztlich die Idee und die ersten Umsetzungen des Tierfund-Kataster des DJV vorgestellt.

Diese Projekte sind bedeutende Instrumente zur Einschätzung der Entwicklung von Wildtierpopulationen geworden und sollten unbedingt weiter entwickelt werden. Auch können Jäger einen wichtigen Beitrag zu weiteren „public science“-Projekten liefern, wie z.B. dem Big Farmland Bird Count, der im deutschsprachigen Raum gerade im Aufbau steht.  Last but not least ist die Erfassung der Jagdstrecken ein interessantes Instrument, um Populationsentwicklungen – wenn auch mit Vorbehalten und Einschränkungen – einzuschätzen. Die Qualität der Jagdstrecken hängt dabei von der Qualität und Ehrlichkeit der Jäger aber ebenso von behördlichen Vorgaben und Restriktionsandrohungen ab. 

Wer tierethisch und weidgerecht jagen möchte, braucht umfassende wildökologische Kenntnisse. Wie können wir den Wissenstransfer zwischen jagdlicher Forschung und Jägerschaft intensivieren?
Die wesentlichen Themen der Weidegerechtigkeit sind der Muttertierschutz und bei sozialen Arten die Beachtung der Rudelstruktur. Wer nicht bereit ist, dies inklusive der Brut- und Aufzuchtzeiten der Arten einzuhalten, kann tierethisch kaum richtig jagen. Schonzeiten sind bereits nach der französischen Revolution eingeführt worden, um dem Raubbau an unserem Wildtieren Einhalt zu gebieten. Dies war die Basis, um gegen maßlose Wilderei einzuschreiten und somit sind die ersten deutschen Jagdgesetze – die lange vor dem 3. Reich entstanden sind – auch die ersten Wildtierschutzgesetze gewesen.

Der Wissenstransfer über die Aufzuchtzeiten der Arten muss dringend bereits bei der Erlangung der Jägerprüfung erfolgen.

Niemand sollte einen Jagdschein besitzen, der nicht wenigstens eine Vorstellung davon hat, wann Kitze geboren oder die Fasanenhenne brütet und ihre Jungen aufzieht, um nur zwei Beispiele zu nennen. Heutzutage wird es schwieriger, den Jägern etwas in Form von großen Artikeln nahe zu bringen. Es sollte insbesondere für die internet- und technikaffinen Jäger zunehmend auf die Medien Podcast, Kurzvideos etc. gesetzt werden. Auch wenn die Medien und vielleicht die Tiefe der vermittelten Inhalte in manchem Medium reduziert ist, muss der Anspruch an die wildbiologische Forschung unangetastet und unideologisch bleiben.

In Österreich gibt es das Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ) der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Es beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit der Ökologie und dem Management von Wildtieren und deren Lebensräumen.  In Deutschland sucht man vergebens nach einem vergleichbaren universitären Institut. Kommt die Jagdforschung in Deutschland zu kurz?
Jagdforschung in Deutschland gibt es tatsächlich sehr wenig. Es gibt einzelne Lehrstühle, an denen ein gewisses jagdliches Verständnis und eine Art Jagdforschung betrieben wird (beispielsweise in Göttingen, München oder Freiburg). Ein vergleichbares Institut wie an der BOKU sucht man allerdings vergeblich. In den Zeiten vor dem Mauerfall waren in der DDR die Jagd und Wildforschungen sehr gut organisiert. Es gab große Gebiete, die ausschließlich für die Erforschung der Wildtiere bereitgestellt wurden. Die Forschung war zudem bedeutend staatlich gefördert und unterstützt. Hier sind wesentliche Arbeiten entstanden. Die bekanntesten dürften bis heute diejenigen zur Schwarzwildforschung sein. Auch die Forschungen von den Gebrüdern Stube finden bis heute große Beachtung in der Wissenschaftswelt. Das ist leider nach der Wende nicht fortgeführt worden und diese exzellenten Institute sind peu à peu ausgelaufen.

GPS Telemetrie von Nashörnern in einem Game-Park im südlichen Afrika zur Koordination der Antipoaching-Teams und zur Gewinnung wichtiger biologischer Daten. (Foto: Daniel Hoffmann)

Wildtiere in der Kulturlandschaft

Was ist der aktuelle Forschungsstand zum Thema Wolf in Deutschland?
Die Wolfspopulation in Deutschland hat sich seit dem Jahr 2000 annähernd exponentiell entwickelt, insbesondere in den letzten zehn Jahren.

Wir haben heute im Land Brandenburg die höchste Wolfsdichte weltweit.

Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für Wildtiere aber auch nicht für Haus- und Nutztiere. Kritisch kann die Situation dann werden, wenn die Wölfe die Scheu vor dem Menschen verlieren und es als Folge dessen zu Übergriffen kommt.

In Österreich ist die Wildökologische Raumplanung ein gängiges Instrument, um artgerechte Lebensräume für Wildtiere zu schaffen, diese zu vernetzen und Konflikte zu entschärfen. Welchen Stellenwert hat dieses Instrument in Deutschland und wann und wie kommt es zum Einsatz?
Eine wildökologische Raumplanung ist ein absolut sinnvolles Instrument, so wie es in Österreich angewandt und umgesetzt wird. Die Vorteile eines ausgeklügeltes Wildtiermanagement liegen auf der Hand. In Deutschland bestehen Planungen in dieser Form nicht und werden auch für die Zukunft nicht umgesetzt werden können. Deutschland weigert sich im Wesentlichen auch in allen einzelnen Bundesländern, Betretungsbeschränkungen für bestimmte Flächen auszuweisen. Insgesamt wird die Notwendigkeit eines vernunftorientierten und sachlich vernünftigen Wildtiermanagements in Deutschland nicht angedacht.

Falsche Akzente in der Artenschutzpolitik

In welchem Zustand ist der deutsche Artenschutz aktuell? Welche Erfolge und Misserfolge gibt es und wie sind die Aussichten?
In Deutschland wird die Artenschutzpolitik zwar immer noch formuliert und hoch angesetzt. Abgesehen von Planungen zu regenerativen Energien sind weitere Raumplanungsmaßnahmen in Deutschland sehr restriktiv gehandhabt. Für viele Arten gibt es teilweise sinnvolle teilweise weniger sinnvolle Schutzkonzepte. Allerdings genügt es nicht zu glauben, dass man mit einem Schutzgebietskonzept alle Arten unserer Kulturlandschaftssysteme erreichen kann. Dominantes Beispiel hier sind die Insekten. Ebenso sind es auch viele Feldvogelarten, die in den letzten 25 Jahren 50 % und mehr an Population verloren haben. Hier werden politisch konsequent – und das seit Jahrzehnten – die falschen Akzente gesetzt.

Brachvogelküken in Schottland – die G.C.D. verfügt über einen der größten Datensätze zum Aufzuchterfolg von Brachvögeln und Kiebitzen. (Foto: Daniel Hoffmann)

Mit den Schutzgebieten, die ausgewiesen wurden, insbesondere über das Netzwerk Natura 2000 der EU, hat man sich sehr auf spezielle Biotope konzentriert. Es sind beispielsweise viele Wasservogelarten in einer positiven Tendenz-Entwicklung, aber auch einzelne Greifvogelarten konnten durch einen Vollschutz in den letzten Jahrzehnten deutliche Zuwächse verzeichnen. Insgesamt betrachtet fehlt aber sowohl ein konsequentes Naturschutz- und Artenschutzmanagement als auch ein konsequentes. Wildtiermanagement durch das Instrument Jagd.

Robert Habeck hat durchgesetzt, dass der Windkraftausbau als „übergeordnetes nationales Interesse“ gilt. Windräder können nun 18 Monate lang per Notverordnung ohne Rücksicht auf die Sensibilität des Standortes aufgestellt werden. Was bedeutet das für den Artenschutz in Deutschland?

Die Grünen sind die größten Natur-Frevler, die Mitteleuropa in seiner bisherigen Geschichte gesehen hat. 

Hier werden Signale gesetzt, um auf der einen Seite CO2 einzusparen in – weltweit gesehen – geradezu lächerlichem Umfang. Auf der anderen Seite werden Kraftwerke in die Landschaft hinein gebaut als große Solaranlagen oder als Windräder und dies auch auf Freiflächen. Diese Windräder haben selbstverständlich einen Effekt auf Wildtiere. Sie bedeuten in jedem Fall eine Störung. Selbst wenn ein Windrad nicht als Tötungsmaschine aufgestellt ist, verhindert seine Platzierung immer eine Ansiedlung von Wildtieren in diesem Raum – jedenfalls gilt das für viele Arten und insbesondere auch für viele Greifvogelarten. Insgesamt wird der Flächenverbrauch durch die sogenannten regenerativen Energien alles bisher Gesehene und Bekannte an Inanspruchnahme unserer freien Landschaft übertreffen. Für Deutschland haben wir global gesehen dann nur noch den einzigen Vorteil, dass wir ohnehin ein Land sind, in dem sehr wenige endemischen Arten vorkommen. Demnach ist der Gesamtschaden für die Biodiversität auf der Erde nicht ganz so groß.  Wir verabschieden uns jedoch damit von allen bisher getroffenen Naturschutzmaßnahmen, die den Steuerzahler Milliarden gekostet haben. 

Jägerinnen und Jäger in Deutschland verbringen im Schnitt eine Arbeitswoche pro Monat im Revier. Für Biotophege und Artenschutz investieren wir 130 Millionen Euro pro Jahr aus eigener Tasche.[1] Was tut die Politik, um dieses wertvolle und ehrenamtliche Engagement zu fördern?
Leider tut die Politik in Deutschland hier sehr wenig. Es gibt lediglich einzelne Politiker, die diese wertvolle Tätigkeit zu würdigen wissen. Tatsächlich enden viele politische Bestrebungen in fast allen deutschen Bundesländern darin, dass neue Jagdgesetze auf den Weg gebracht werden, die es dem Jäger erschweren bis nahezu verunmöglichen, ein intelligentes Wildtiermanagement umzusetzen. Die Politik ist also mehr Bremsklotz, als dass sie dieses ehrenamtliche Engagement für unsere Wildtiere fördert.

Jägerschaft in der Verantwortung

Komplexe Zusammenhänge verstehen zu wollen ist unpopulär geworden. Was können wir Jägerinnen und Jäger tun, um für mehr Verständnis und Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu werben?Gerade in der Jagd und letztlich bei allen Freilandaktivitäten, die Wildtiere und auch Wildpflanzen betreffen, geht es oft nicht ohne sehr komplexe Zusammenhänge. Diese müssen wir kennen und berücksichtigen, um überhaupt zu halbwegs richtigen Schlüssen zu gelangen. Für die Öffentlichkeit und auch für die Jägerschaft selbst müssen diese komplexen Themenfelder so zusammengefasst werden, dass sie allgemein verständlich sind, was immer mit Abstraktionen verbunden sein wird. Es ist heute sicher so, dass eine gewisse Lesefaulheit bei einem Großteil der Bevölkerung zu beobachten ist, was auch ein Stück weit der Schnelllebigkeit unserer Informationsübermittlung geschuldet ist. Hier muss die Kommunikation ansetzen und diejenigen Medien nutzen, die aktuell auch tatsächlich von der Bevölkerung nachgefragt sind. Dazu zählen Beiträge in Blogs, kurzen Videos oder Podcasts, in denen jeweils Teilaspekte formuliert werden, mit denen man das Publikum dann quasi scheibchenweise zu den Fakten führt.

Wie und wo erhalten interessierte Jägerinnen und Jäger Zugang zu den Ergebnissen der Studien von G.C.D.?
Die meisten Arbeiten sind auf unserer Homepage zumindest kurz beschrieben. Wir wollen in Zukunft hier noch einiges mehr anbieten. Wir nutzen die Zeitschrift „Der Überläufer“ als Organ, um auch Projekte der Game Conservancy einer größeren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und wir werden uns auch verstärkt mit den neuen Medien auseinandersetzen, um eine größere Reichweite für unsere Projekte zu bekommen. Auch die wissenschaftliche Publikation der Arbeiten, die wir in Kooperation mit unterschiedlichen Universitäten erstellen und erstellt haben, werden wir in Zukunft noch verstärken.

Ich bedanke mich bei Dr. Daniel Hoffmann für das ausführliche Interview.

[1] Repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts GMS Dr. Jung GmbH im Auftrag des Deutschen Jagdverbandes (DJV), 2022. Befragt wurden laut DJV knapp 1.300 Jägerinnen und Jäger.

Für die Natur: Game Conservancy Deutschland G.C.D.:

Wofür steht die Game Conservancy Deutschland (G.C.D.)?
Die Intention der G.C.D. ist die Erarbeitung von praxisrelevanten Konzepten, die auf Basis angewandter Wissenschaft und langjähriger Monitoringstudien entwickelt wurden, die den effizienten Schutz und den Erhalt der regionaltypischen Biodiversität der Ökosysteme gewährleisten und fördern. Die Lebensgrundlage wild lebender Flora und Fauna kann in Kulturlandschaften insbesondere unter den Bedingungen einer nachhaltigen landwirtschaftlichen, forstlichen und jagdlichen Nutzung verbessert werden. Naturschutz durch ökosystemgerechte Nutzung einhergehend mit der Schaffung von regionaltypischen Ganzjahreslebensräumen ist das Motto der G.C.D.

In welchem Auftrag handelt die G.C.D.?
Die GCD ist ein gemeinnütziger Verein, der in Deutschland die bundesweite Anerkennung als Naturschutzvereinigung nach §3 UmwRG (Anmerkung: Umwelt-Rechtsbehelfgesetz) inne hat. Die G.C.D. handelt einzig im eigenen Auftrag und richtet sich ausschließlich an ihren Satzungszielen und ihrem Motto aus.

Wie finanziert sich die G.C.D.?
Die G.C.D. finanziert sich vorwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden der Mitglieder. In Bayern wurde ein Großprojekt („Beetle Banks“) mit Unterstützung der Bayrischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kofinanziert. Einige Stiftungen oder Vereine mit vergleichbaren Zielsetzungen haben für die Zukunft ihre Bereitschaft zur Unterstützung bekräftigt. 

Welche Projekte sind aktuell in der Umsetzung? 
Aktuell laufen über die G.C.D. eine Vielzahl von Projekten. In Schottland wird ein umfangreiches und langjähriges Monitoring zum Brut- und Aufzuchterfolg von Bodenbrütern umgesetzt. In Österreich werden praxisgerechte Methoden zur Verbesserung des Wildtierlebensraums in der intensiv genutzten Agrarlandschaft erprobt. Es finden weiterhin Brutvogelkartierungen sowie ein Turteltaubenmonitoring statt. Weitere Arbeiten sind in Österreich in Planung – u.a. eine Untersuchung zur Alltier-Kalb-Bindung bei verschiedenen Schalenwildarten.

Im Bayrischen Wald wird die Wirkung des Luchses auf die Population und das Verhalten des Rehwildes untersucht. Im Nördlinger Ries wird die Wirksamkeit von Beetle Banks in der Agrarlandschaft für Niederwild, Feldvögel und Insekten erforscht. An der Mosel werden Methoden evaluiert, um im Weinbau die Biodiversität zu erhöhen, ohne die Qualität der Weine oder die betriebswirtschaftlichen Abläufe zu beeinträchtigen. Auf der Insel Pellworm werden seit über 10 Jahren pathologische Studien an Feldhasen durchgeführt. In 2023 wurden die ersten 10 Feldhasen telemetriert, um deren Habitatnutzung und Überlebensrate zu untersuchen. In Vorbereitung befindet sich ein Birkwildmonitoring im bayerischen Alpenvorland und den Alpen. Der Big Farmland Bird Count wird in Kooperation mit dem Gut Hardegg und dem Magazin Vögel durch die G.C.D. koordiniert und die Auswertung der Daten erfolgt durch die G.C.D.

Weiterführende Informationen: Game Conservancy Deutschland G.C.D.

Beitragsfoto: Agata Kaczowka Unsplash Photo

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