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Interview mit dem Wolfsexperten Theo Grüntjens über den Einfluss des Wolfes auf unser Schalenwild und die jagdlichen Herausforderungen, die auf uns Jägerinnen und Jäger zukommen.
„Wolf im Treiben!“ Als ich am 5. Dezember 2020 während unserer Drückjagd im Odenwald per WhatsApp über die Anwesenheit Isegrims informiert wurde, stockte mir der Atem. Mein erster Gedanke galt den Hunden im Treiben. Umgehend wurden die Hundeführer informiert. Die Spannung war für alle real und greifbar. Seit über einem Jahr wurden in der Umgebung zwar bereits Risse registriert, aber bisher gab es keine direkten Nachweise in unserem Revier. Dass es eine Frage der Zeit sein würde, bis sich der Wolf auch bei uns blicken lässt, war uns allen bewusst. Dennoch kann man sich auf den Moment der ersten Begegnung nicht vorbereiten. Der Wolf löst Emotionen aus. Er polarisiert. Und vor allem wirft er eine Reihe von Fragen auf: Welchen Einfluss wird seine Anwesenheit auf das Schalenwild haben? Werden sich die Rudelgrößen, Sozialstrukturen und Verhaltensweisen verändern? Müssen wir unsere Jagdstrategien anpassen, um weiterhin erfolgreich zu jagen? Brauchen unsere Hunde bei Drückjagden besonderen Schutz? Die Skepsis in weiten Teilen der Jägerschaft ist durchaus nachvollziehbar. Uns fehlt schlicht die Erfahrung im Umgang mit diesem faszinierenden Raubtier. Ablehnung resultiert nicht selten aus fehlendem Wissen und/oder stereotyper Denkweise. Dem sollten wir entgegenwirken. Es ist davon auszugehen, dass wir früher oder später Verantwortung für die Regulierung des Wolfes übertragen bekommen. Wir sollten vorbereitet sein, wenn es soweit ist. Dazu gehören Information und Aufklärung. Der renommierte Wolfsberater Theo Grüntjens gibt Antworten auf meine Fragen.
Die Leidenschaft für Natur und Jagd wurde dem 1953 am Niederrhein geborenen Diplom-Forstingenieur in die Wiege gelegt. Beruflich zog es Theo Grüntjens in die niedersächsische Heide. Als Leiter der Forstverwaltung des Rheinmetall-Konzerns konnte er sich in über 30 Berufsjahren einen Lebenstraum erfüllen. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Konzept, das nachhaltigen Naturschutz in Einklang mit wirtschaftlicher Nutzung und vernünftigem Jagdmanagement bringt. Eine Botschaft, die Theo Grüntjens auch durch Vorträge und in TV-Sendungen vermittelt. Weitere Informationen über Grüntjens Arbeit und Publikationen unter www.theo-gruentjens.de.
Der Wolf ist da. Muss die Jägerschaft sich Sorgen machen?
Ja, der Wolf ist da und wird auch bleiben. In welcher Bestandshöhe und Verteilung in der Fläche er sich bei uns in Deutschland etablieren wird, hängt von vielen Faktoren ab. Solange es keinen echten Managementplan gibt und das zur Zeit höherwertige Naturschutzrecht besteht, sind die Jäger auch nicht befugt aktiv zu werden. Grundsätzlich hat die Jägerschaft auch kein Problem mit dem Wolf zu erwarten. Wild ist überall reichlich vorhanden und auch nach 15 Jahren Wolfsanwesenheit zeigt sich nur beim Muffelwild ein fatales Bild. Muffel und Wolf im Flachland geht nicht miteinander. Beim Schwarzwild ist keine Reduzierung des zu hohen Bestandes erkennbar. Beim Rot- und Damwild und Rehwild werden wir mit vertretbaren Verlusten rechnen müssen. Es wird Reviere geben, die überhaupt keine Auswirkungen spüren und einige wenige, die einen stärkeren Eingriff durch den Wolf erleben werden. Entscheidend wird die Struktur der Landschaft und die Wildzusammensetzung sein. Ebenso ist die Reviergröße der Jagdfläche ein wesentlicher Faktor, um auf die Veränderungen des Wildverhaltens angemessen reagieren zu können.
Wie ist Ihre persönliche Einstellung zu einer Überführung des Wolfes vom Naturschutzrecht in das Jagdrecht?
Solange der Wolf im europäischem Recht der Berner Konvention und in der FFH Richtlinie im Anhang II und IV gelistet ist, untersteht der Wolf dem besonderen Schutz des Naturschutzrechtes. Da die Entnahme von problematischen Tieren schon heute mit den Jägern einvernehmlich geregelt werden kann, ist eine zwingende Aufnahme ins Jagdrecht noch nicht notwendig. Eine Änderung des jetziges Schutzstatus kann in der EU nur einstimmig erfolgen. Das wird wahrscheinlich noch etwas dauern. Es hindert die Jägerschaft aber nicht daran, schon jetzt mit der Qualifizierung der Jäger zu beginnen, um später auch den wissenschaftlichen Anforderungen eines sinnvollen Managementplanes nachkommen zu können. Einen Wolf auf Geschlecht und Alter anzusprechen ist eine riesige Herausforderung, die auch nicht jeder Jäger wird leisten können. Man sollte hier nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.
Wie verändert sich das Verhalten unserer Schalenwildarten in Anwesenheit des Wolfes kurz, mittel- und langfristig?
In der Kurzfassung kann man sagen: Muffelwild wird im Flachland bei der Anwesenheit von Wölfen ausgerottet werden. Rehwild macht sich zunächst unsichtbar und braucht wohl bis zu 10 Jahre, bis es zu normaler bekannter Lebensweise zurückfindet.
Eine Reduzierung des jagdlichen Abschöpfens durch Wölfe wird wohl bei 10-20% liegen.
Rotwild zeigt als erstes die Anwesenheit von Wölfen an. Zunächst beobachtet man eine ungewohnte Unruhe, ja sogar Nervosität. Oft große, schnelle Fluchten über große Distanzen in weit entfernte Einstände und oft auch rudelweises Aufsuchen von bisher nur selten oder noch nie genutzte Lebensräumen. Bisherige Wechselwildreviere haben plötzlich Rotwild als Standwild. Nach nur wenigen Jahren sind die Hirsche die ersten, die wieder sichtbarer und ruhiger wirken. Das Kahlwild lernt aber ebenfalls schon nach wenigen Jahren mit der Anwesenheit der Wölfe umzugehen. Die Evolution hätte ja sonst wohl einen Fehler gemacht, wenn es beim Stress beim Vorhandensein der Wölfe geblieben wäre. Schließlich war der Wolf seit Beginn an mit dem Rotwild gemeinsam in der Entwicklungsgeschichte in Europa verbunden. Auf ca. 10 % der bisherigen Strecke werden wir wohl verzichten müssen. Sauen zeigen die geringsten Veränderungen mit jagdlichen Auswirkungen. Kirrungen werden zwar unregelmäßiger aufgesucht, bei Drückjagden scheint eine erhöhte Aggressivität zu den Jagdhunden gegeben zu sein und vermehrt tauchen Einzelbachen mit zur Unzeit gefrischten Frischlingen auf. Alles in Allem aber hat der Wolf keine Einwirkung auf die Bestandshöhe des Schwarzwildes. Damwild scheint aber vom Wolf intensiver genutzt zu werden, so dass hier der von uns Jägern jagdlich abzuschöpfende Anteil sich verringert. Abschusspläne müssen hier nach unten korrigiert angepasst werden.
Wie verändern sich Rudelgrößen und Sozialstruktur des Rotwildes bei Anwesenheit des Wolfes?
Rudelstrukturen werden meiner Beobachtung nach von Wölfen nicht wesentlich beeinflusst, da der Eingriff in die Population durch die Wölfe sich ähnlich unserer Abschussplanvorgaben gestaltet. Die Rotwildrudel können sich aber je nach Geländestrukturen hin zu Großrudeln deutlich verändern. Dies hat natürlich dann starke Auswirkungen auf die Bejagbarkeit. Bei Drückjagden kommt einem dann das Wild häufig zu dicht gedrängt und oft nur einem bis zwei Schützen, was den Jagderfolg dann deutlich negativ beeinflussen kann. Bei der Einzeljagd werden ebenfalls mit jedem Schuss deutlich mehr Tiere gestresst. Es gibt aber auch viele Reviere, wo keine signifikanten Veränderungen stattfinden. Das Muffelwild spielt hier als Wildart leider eine negative Ausnahme, weil es keine Verteidigungsstrategie im Flachland entwickeln konnte. Die Statistikzahlen der Jahresstrecken stärken diese Sichtweise.
Hat die Anwesenheit des Wolfes eine Auswirkung auf die Fitness einer Population?
Nach über 15 Jahren Wolfsanwesenheit im Revier kann ich für meinen Beobachtungsbereich feststellen, dass die Gewichte des Rehwildes gestiegen sind und die Anzahl der Ricken mit Drillingskitze sich erhöht hat. Trotzdem beobachten wir immer noch überaltertes Kahlwild und erlegen überalterte Ricken. Durch eine andere und bessere Wahrnehmung der körperlichen Fitness des Wildes hat der Wolf natürlich eine bessere Selektion von schwachen und kranken Stücken gegenüber uns Jägern. Aber auch er wird einen eventuellen Seuchenausbruch nicht verhindern können.
Zur Räuber-Beute-Beziehung: Kann der Wolf seine Beute ausrotten?
Dass der Wolf uns Jägern auf Dauer die Beute wegfrisst, ist leider eine Sorge vieler Jäger. Nach den bisher bekannten Untersuchungen im Ausland, wie auch in der Datenstatistik, die seit rund 20 Jahren in Deutschland daraufhin beobachtet wird, ist die Sorge scheinbar unbegründet. Es wird sicherlich in wenigen Hot Spot Punkten der Rudel kleinräumige Bereiche geben, die eine jagdlich sehr deutliche Veränderung zeigen werden. Bei im Durchschnitt unter zwei Stück Schalenwild pro 100 ha pro Wolfsrudel und Jahr ist der Beuteverlust für die meisten Reviere gut verträglich. Unterschiedliche Landschafstrukturen und Höhenlagen wie auch klimatische Besonderheiten werden natürlich Abweichungen vom Durchschnitt zeigen. Die Statistikzahlen der Jahresstrecken stärken diese Sichtweise.
Worauf müssen wir Jägerinnen und Jäger beim Jagdhundeeinsatz achten, wenn Wölfe im Revier sind?
Bei der Einzeljagd mit dem Hund an der Leine spielt der Wolf für uns keine Rolle. Bei Drückjagden mit frei agierenden Hunden sieht das schon etwas anders aus.
Grundsätzlich sollten überscharfe Hunde nicht mehr eingesetzt werden.
Die Gefahr, dass es hier zu Beißereien kommt ist zu groß. Unsere Jagdhunde wären in solch einem Fall dem Wolf unterlegen und würden schwer verletzt oder getötet werden. 20 Jahre Wölfe im Treiben zeigt uns aber auch, dass wir nicht wirklich Angst vor der Anwesenheit des Wolfes haben müssen. Es gibt nur ganz wenige Beobachtungen, dass die Hunde den Wölfen zu nah kommen oder dass es zu Auseinandersetzungen mit ihnen gekommen wäre. Wenn man eine Viertelstunde nach Beginn der Drückjagd erst die Hunde schnallt, stellen die Wölfe sich scheinbar auf das Szenario ein und weichen den Hunden und Treibern geschickt aus. In Skandinavien jagt man anders und dort gibt es häufiger Probleme zwischen Wölfen und einzeljagenden Hunden. Ein Keiler bei der Rotte ist ein sehr viel größeres Problem für unsere Hunde. Ich persönlich habe keine Angst um meine Hunde. Selbst bei zahlreichen Nachsuchen mit dem Schweißhund hatte ich bisher keine besondere Situation mit dem Wolf. Eine meiner Hündinnen hat sogar jeweils nach einer Fehlhetze drei Tage und Nächte im Kernrevier der Wölfe überlebt. Schnallen sollte man am Wundbett aus Sicherheitsgründen aber nur, wenn man keinen Hinweis auf die Anwesenheit von Wölfen bemerkt hat.
Müssen unsere Jagdstrategien angepasst werden, wenn der Wolf im Revier ist? Und falls ja, wie?
Die Anwesenheit der Wölfe verändert bekanntermaßen das Verhalten unserer jagdbaren Wildtiere. Die Einzeljagd wird nicht nur beim neu Auftauchen der Wölfe erschwert sein, sondern auch nach der Gewöhnungsphase in der Zukunft erschwert bleiben. Dies liegt einerseits an der verbesserten Aufmerksamkeit des Wildes, wie auch an die am Vorhandensein der Wölfe angepasste Lebensraumnutzung unseres Schalenwildes.
Wenn wir auch künftig erfolgreich sein wollen, müssen wir uns vorsichtiger in der Fläche bewegen und mehr gemeinschaftlich in großräumigeren Bewegungsjagden zusammentun.
Besonders die kleinen Reviere sollten eine verbesserte nachbarschaftliche Jagdsituation pflegen. Das Wild wird nämlich seinen bekannten Lebensraum, der je nach Wildart sehr groß sein kann, deutlich großflächiger nutzen.
Bedeutet der Wolf das Aus von bewährten Fütterungskonzepten im Alpenraum wie z. Bsp. das Wintergatter?
Diese Frage werden wir noch nicht vollumfänglich beantworten können. Wir wissen nur, dass Höhenlage, sprich Witterung wie Schneehöhen und Frost, den Wölfen unter Umständen das Beutemachen deutlich erleichtern. Gerade große Fütterungen werden ein wahrscheinliches Problem darstellen, da diese Konzentrationen von Wild dem Wolf natürlich bevorteilen. Er lernt schnell und wird sich an die Situation rasch anpassen. In wieweit das Wild in der Kulturlandschaft im Alpenraum durch ein Ausweichen neue Strategien entwickeln kann, mag ich nicht zu beurteilen. Feste Wintergatter kann man dagegen relativ leicht wolfssicher machen und somit weiter betreiben.
Warum sind viele Jägerinnen und Jäger so skeptisch, wenn es um die Wiederansiedlung des Wolfes geht?
Irgendwie steckt in vielen Jägern noch die Urangst vor dem Urvater unserer Jagdhunde. Eigentlich ist es das fehlende Wissen über die Biologie und das Verhalten der Wölfe. Wir haben über hundert Jahre ohne diesen qualifizierten grauen Jäger uns als die Herren über das Wild fühlen dürfen.
Heute wissen wir das Er, der Wolf, der bessere Jäger ist und wir mit Ihm teilen müssen.
Die räumliche Verteilung und die Unsichtbarkeit des Wildes erschweren uns das Beutemachen, zudem braucht ein Wolf nicht nach Güteklassen zu jagen. Viele von uns wussten früher immer, wo das Wild im Einstand steckte und somit konnte auch in kleinen Revieren gezielt gejagt werden. Hier gibt es Veränderungen mit denen gerade kleine Reviere und Pächter, die nur alle paar Wochenenden mal im Revier weilen können, Probleme zu erwarten haben. Nicht sichtbar heißt aber nicht unbedingt nicht vorhanden. Mehr Gemeinsames Jagen zum Strecke machen ist hier wohl notwendiger denn je.
Wie können Übergriffe auf Nutztiere effizient verhindert werden?
Nutztiere in der Offenlandhaltung sind sehr unterschiedlich durch Wölfe gefährdet. Es ist neben der Tierart auch die Haltung der Tierarten ein entscheidender Schutzfaktor. Pferde und Kuhherden mit relativ natürlichen Alterstrukturen sind für die Wölfe nur selten leichte Beute. Je größer die Tiere und je wehrhafter sie ausgestattet sind, umso uninteressanter sind sie für die Wölfe. Der Wolf weiß um die Gefahr durch Hufschlag von einer aggressiven Mutterkuh oder einem erwachsenen Pferd. Schafartige Tiere können sich nicht wehren und müssen deshalb gut geschützt werden. Es gibt heute schon sehr gute Elektroschutzzäune, die die meisten Attacken abhalten. Leider lernen die Wölfe bei der Neubesiedlung einer Region sehr schnell, dass schlecht geschützte Tiere einfache Beute sind. Als Opportunisten werden sie ihre Jagdstrategie natürlich auch drauf abstellen und solche Angebote nutzen. Lernen sie allerdings von Anfang an gut geschützte Tiere kennen, respektieren sie diese schmerzhaften Erfahrungen. Leider wird immer noch zu spät ein vollumfänglicher Schutz angewandt. Einmal erfolgreich, werden sie schnell Wege finden, um sich Zugang zu verschaffen. Oft bleibt dann nur der Abschuss der angelernten Wölfe, da Vergrämen meist zu wenig bringt, wie schwedische Studien zeigen. Einen 100% tigen Schutz wird es bei dieser intelligenten Tierart nie geben.
Ein Raubtier tötet normalerweise das, was es zum Überleben braucht. Warum tötet der Wolf bei Angriffen auf Nutztiere scheinbar wahl- und hemmungslos?
Wir alle kennen das Problem beim Iltis oder Fuchs, wenn er in einen Hühnerstall einbricht. Da wird auch getötet, was nicht wegläuft bzw. fliegt. Das haben wir den Prädatoren nicht wirklich angelastet. Ein Entkommen war ja nicht möglich, es musste dann halt besser geschützt werden. Bei den meisten Nutztieren ist es doch ähnlich. Eingezäunt, damit die Nutztiere nicht ausbrechen, bleibt Ihnen der Fluchtweg versperrt bzw. ihnen ist der Fluchtinstinkt weg gezüchtet worden. Der Wolf bekommt plötzlich eine einfache Chance Beute zu machen und greift solange zu, bis kein Anreiz mehr ausgelöst wird. Erst wenn der Angriffsreiz endet (durch fliehen der Tiere) kann der Fressreiz einsetzen. Dieses sogenannte „Surplus Killing“ werden wir nur durch besseren Schutz der Nutztiere verhindern.
Nach DJV-Hochrechnung auf Basis der offiziellen BfN-Zahlen werden im Frühsommer 2020 rund 1800 Wölfe in Deutschland leben. In Schweden, Finnland und Frankreich zusammen sind es ca. 1000 Tiere. Wie viele Wölfe verträgt der Lebensraum Deutschland?
Dies ist eine schwierig zu beantwortender Frage. Je nach Sichtweise zu dem Thema kann man zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen. Ließe man den Wölfen die Entscheidung, würden es vermutlich weit mehr als 10.000 – 15.000 Wölfe werden. Futter (sprich Wild) wäre nachhaltig genug da. Wenn wir das wirtschaftlich betrachten, dann hängt alles davon ab, ob wir das Thema Schutz der in Freilandhaltung gehaltenen Nutztieren gut gelöst bekommen. Politisch gesehen wird man wahrscheinlich irgendwo max. 5000 Wölfe zulassen. Das ist eine Größe, bei der dann wohl alle Bundesländer vom Wolf besiedelt wären.
Letztendlich werden die finanziellen Lasten, die der Wolf uns aufbürdet, zu einer Begrenzung nach oben führen.
Einmal besetzte Gebiete, in denen Wölfe leben, spielen für die Gesamtmenge in Deutschland keine Rolle. Selbst wenn man in Sachsen alle Wölfe töten würde, würden wir das in Niedersachsen nicht spüren. Einmal besetze Gebiete werden gegen familienfremde Wölfe verteidigt. Durch Abschuss irgendwelcher Wölfe gibt es keine Verdünnung in der Populationen sondern nur regionale Auswirkungen.
Wann ist der günstige Erhaltungszustand der Wolfspopulation in Deutschland erreicht und auf welcher Basis wird er bestimmt? Wie viele erwachsene Wölfe braucht es, um die Population langfristig zu erhalten?
Über dieses Thema kann man trefflich streiten. Leider ist die gesetzliche Situation in der EU sehr schwierig und speziell. Abgesehen davon sind mittlerweile die Wölfe wieder in der Lage, sich genetisch auf großer Fläche auszutauschen und insofern haben wir für die Wolfspopulation den sogenannten günstigen Erhaltungszustand meines Erachtens erreicht, da über 500 erwachsene Wölfe in den Populationen Kontakt zueinander haben. Die rechtliche Lage nach der FFH Richtline schaut aber sehr auf nationale Grenzen und Berichtszeiträume. Zudem muss bei diesem Thema ein einstimmiger Beschluss zur Änderung der Beurteilung hergestellt werden und dies wird wohl so schnell nicht geschehen. In zwei bis drei Jahren werden wir aber diese Zahl von erwachsenen Wölfen sicherlich schon in Deutschland erreicht haben.
Dem Rotwild steht in Deutschland ein sehr begrenzter, durch Behörden definierter Lebensraum zur Verfügung. In Baden-Württemberg sind es gerade einmal 4% der Landesfläche. Der Wolf hingegen darf sich frei bewegen, wandern und jagen wo er möchte. Müssten wir dem Rotwild nicht auch mehr Lebensraum zugestehen?
Ich glaube, über diese Frage brauchen wir als Jäger nicht lange diskutieren. Es kann nicht sein, dass so eine sensible, intelligente uns soziale Tierart in ein so kleines Lebensfeld eingegrenzt werden darf. Da wir den Wölfen gestatten, sich ihr Revier frei zu suchen, müssen wir dies auch beim Rotwild weitestgehend zulassen. Wenn sich ein Rudel Wölfe im genehmigten Lebensraum des Rotwildes etabliert, wird das Rotwild in den Randbereichen seines ihm zugewiesenen Lebensraumes oft den Wölfen in andere Flächen ausweichen müssen um überleben zu können und dort warten dann die zweibeinigen „Wölfe“. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und zu Lasten unserer größten heimischen Tierart gehandelt. Ganz abgesehen von der genetischen Verarmung solcher Populationen sind wir in der Lage, finanzielle Schäden auch beim Rotwild zu stemmen. Nicht jeder geschälte und verbissene Jungbaum ist ein Problem für die ökologische Stabilität und Zukunft unserer Wälder. Angepasste jagdliche Strategien und Lebensraumgestaltung können für das Rotwild hier mehr bewirken.
Welche Botschaft möchten Sie Jägerinnen und Jägern in Bezug auf den Wolf mitgeben?
Alle Diskussionen die wir Jäger zum Thema Wolf führen, sollten wir sachlich und auf Grund bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse vornehmen. Nur Wölfe schießen wollen, weil es eine jagdlich begehrenswerte Beute sein könnte, darf nicht Antriebsfeder sein. Es gibt genug vernünftige Gründe, um in naher Zukunft Eingriffe in die Wolfspopulation mit jagdlichen Mitteln vorzunehmen. Warten wir ab, bis wir – hoffentlich bald – den im Konsens mit den naturschutzrelevanten Gruppen erarbeiteten Managementplan vorliegen haben, um dann gekonnt und profihaft diesen unter Führung der Jäger auch umzusetzen, sprich nach Jagdrecht zu bejagen.
Sehen Sie den Wolf nicht als unerwünschte Konkurrenz, sondern als interessantes, zurückgekehrtes Wildtier an, was unsere Wildbahn bereichert und uns Jäger mit erhöhtem Erlebenswert zu einem besseren Verständnis zur Natur führt.
Nicht die Masse der Strecke, sondern das jagdliche Erlebnis sollte uns Freude beim jagdlichen Tun sein.
Mein Dank gilt Theo Grüntjens für das ausführliche Gespräch.
Theo Grüntjens hat sich auch als Buchautor einen Namen gemacht:
Beitragsfoto: Mila Kusmenko auf pixabay
So sehe ich dasauch.blah blah aber es passiert nichts.Ich kann das nichtb mitragen.Beende mein Leben als aktiver Jäger nach 70 Jahren,
Hallo Herr Schulze, leider bekomme ich es immer wieder mit, dass langjährige Jägerinnen und Jäger resigniert aufhören. Ich bedaure das sehr, weil dadurch ein unglaublich wertvoller Erfahrungsschatz verloren geht. Weidmannsheil und beste Grüße, Christine Fischer
Liebe Christine
Vielen herzlichen Dank für dieses spannende und informative Interview – habe wieder viel dazugelernt. Freue mich auf kommende Beiträge auf Deinem Blog!
Herzlich, J-A
Vielen Dank. Ich freue mich, wenn meine Inhalte einen Beitrag zur Aufklärung und sachlichen Information leisten können.
Liebe Christine,
das ist ein hervorragender, weil endlich einmal abwägender Kommentar und Beitrag zum Thema Wolf! Kein Alarmismus, sondern praxisbezogenes Wissen. Richtig ist auch, dass der „günstige Erhaltungszustand“ erreicht ist. Eine Trennung der vermeintlich verschiedenen europäischen Populationen ist willkürlich und Ideologie-getrieben. Es müsste daher nur eine politische Initiative geben. Die Frage wird sein, wer den Mut dazu hat. Ich will heute keinen Wolf bejagen, wir benötigen aber mittelfristig Instrumente, um auch für unser restliches Schalenwild einen guten Zustand zu erhalten. Gleiches gilt für die Offenhaltung unserer Landschaft im Südschwarzwald , die nur durch Beweidung möglich ist. Hier kursieren aber Konzepte, ganze Täler „wolfsdicht“ zu zäunen. Diese Lebensräume verliert unser Schalenwild! Danke! cm
Lieber Christoph, danke für Deinen positiven Kommentar. Ich wünsche mir von der Jägerschaft im Hinblick auf den Wolf mehr Weitsicht und Differenzierung. Die dumpfen SSS-Parolen, die leider weit verbreitet sind, zeugen meines Erachtens von fehlendem Willen, sich zu informieren und sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen. Der Wolf wird uns alle herausfordern. Neue Konzepte und Wege sind gefragt. Das ist unbequem und stößt deshalb nicht bei allen auf Begeisterung. Es liegt an uns, die Situation konstruktiv mitzugestalten und uns als kompetente Partner zu positionieren.