Interview

Wolf im Revier: Keine Berührungsängste mit wissenschaftlichen Institutionen

Lesezeit: 5 Minuten

Interview mit Felix Böcker und Philipp Schmieder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Baden-Württemberg

Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben. Für uns Jäger gilt es deshalb, den richtigen Umgang mit diesem neuen „Player“ auf dem Spielfeld zu finden. Um in Zukunft effiziente Jagdstrategien und -konzepte entwickeln zu können, ist es wichtig, so viel wie möglich über sein Verhalten zu erfahren. Eine enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Jagd und Wissenschaft ist die Basis dafür. Jägerinnen und Jäger sind dazu aufgerufen, sich aktiv am Erforschungs- und Monitoringsprozess der großen Beutegreifer zu beteiligen. Eine gute Qualität dieser Kooperation ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Neben dem Wolf ist auch der Luchs aus wissenschaftlicher Sicht von großem Interesse. Dieser scheue Lauerjäger lebt quasi unsichtbar. Besenderungen können wichtige Daten zum Schutz dieser seltenen Tierart liefern. Im Falle von „Toni“ (wissenschaftliche Bezeichnung B3001), dem ersten besenderten Luchs in Nordschwarzwald, für den der LJV Baden-Wüttemberg die Patenschaft übernommen hat, wird sogar eine Meldeprämie für Rissfunde ausbezahlt. Seine Besenderung gelang in enger Zusammenarbeit mit dem dortigen Wildtierbeauftragten und der Jägerschaft vor Ort.

Luchs Toni bei seine Besenderung. Foto: FVA

Aber was passiert eigentlich konkret, wenn ich Nach-und Hinweise an offizielle Stellen melde? Ist die vermutete Zurückhaltung und Skepsis innerhalb der Jägerschaft bestätigt und berechtigt? Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Baden- Württemberg ist landesweit mit der Durchführung des Wolfs- und Luchsmonitoring beauftragt. Meine Fragen wurden von Felix Böcker und Philipp Schmieder beantwortet.

Die FVA ist in Baden-Württemberg landesweit mit der Durchführung des Wolfs- und Luchsmonitorings beauftragt. Welche Aufgaben sind darin enthalten?

Die FVA ist durch das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz mit dem Monitoring von Luchsen und durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft mit dem Monitoring von Wölfen in Baden-Württemberg beauftragt. Das Team des Luchs- und Wolfsmonitorings nimmt Hinweise zur Präsenz von großen Beutegreifern entgegen, dokumentiert und bewertet diese nach bundeseinheitlich verwendeten Standards (Reinhardt et al. 2015). Neben dem passiven Monitoring, also der Aufnahme von zufälligen Hinweisen (Sichtungen, Risse, Fotos, Losungen, Fährten und Totfunden), die aus der Bevölkerung kommen, wird auch aktives Monitoring durchgeführt. Hierzu zählt das Fotofallenmonitoring sowie die aktive Hinweissuche. Auf Basis dieser Daten werden das Vorkommen und die Verbreitung von Luchs und Wolf in Baden-Württemberg dokumentiert. 

Wie ist die aktuelle Situation von Wolf und Luchs in Baden-Württemberg (Anzahl Individuen, Wolfsrudel, Ausbreitungstendenzen, zu erwartende Entwicklung, Lebensraumkapazität etc.)?

Wolf: In Baden-Württemberg halten sich aktuell mindestens zwei Wölfe auf. Ein Rüde, der die Bezeichnung GW852m trägt, lebt seit 2017 territorial im Nordschwarzwald. Ein zweiter Rüde (GW1129m) wird seit 2019 regelmäßig im Südschwarzwald nachgewiesen. Dieses Individuum könnte in Kürze als zweites territoriales Tier in Baden-Württemberg eingestuft werden. Es gibt außerdem immer wieder Hinweise auf weitere Einzeltiere, die vermutlich auf Wanderschaft sind und sich nicht länger an einem Ort aufhalten. Ob diese in BaWü bleiben, oder in benachbarte Länder oder Bundesländer weiterziehen, ist unklar. Nach wie vor wird in allen europäischen Wolfsvorkommen ein Wachstum beobachtet. Dieser Umstand fördert eine weitere Zuwanderung von Wölfen nach Baden-Württemberg, so dass auch künftig Nachweise und zuwandernde Tiere erwartet werden. Weitere Einzelwölfe könnten sesshaft werden und auch mit der Bildung von Paaren und anschließender Reproduktion wird gerechnet. 

Luchs: In Baden-Württemberg halten sich aktuell nachweislich drei Luchskuder auf. Der Luchskuder „Wilhelm“ (B3000) hält sich bereits seit minbdestens 2015 im Südschwarzwald auf. Der Luchskuder „Lias“ (B600) hält sich im Oberen Donautal auf. Dieser Luchs wurde im Januar 2019 besendert. Der Luchskuder „Toni“ (B3001) hält sich im Nordschwarzwald auf und trägt seit April 2020 ebenfalls ein Sendehalsband. Auch bei den Luchsen gibt es ab und zu Hinweise auf einzelne weitere Tiere. Die meisten nachgewiesenen Tiere stammen nachweislich aus der Schweiz. Weibliche Luchse konnten in Baden-Württemberg bisher nicht nachgewiesen werden. 

Wie bewerten Sie aktuell die Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Institutionen und der Jägerschaft? Gibt es Verbesserungspotenzial?

Die FVA legt bei der Arbeit im Luchs- und Wolfsmonitoring großen Wert auf einen guten Austausch und enge Kooperationen mit Personen aus der Jägerschaft, der Forstwirtschaft und der Nutztierhaltung. In der Zusammenarbeit mit den Wildtierbeauftragten der Landkreise werden neben dem direkten Kontakt mit einzelnen Personen dieser Gruppen beispielsweise auch Treffen mit Hegeringen oder Kreisjägervereinigungen organisiert. Ein enger Kontakt mit dem Landesjagdverband sorgt für einen guten Informationsaustausch auf Verbandsebene. Die direkte Kommunikation mit meldenden oder interessierten Personen aus der Jägerschaft ist jedoch mindestens genauso wichtig.

Ein Großteil der Meldungen stammt aus der Jägerschaft.

Eine gelungene Zusammenarbeit ist hier die Voraussetzung für sachliche Informationen und eine guten Wissensstand in der Wissenschaft und in der Jägerschaft. 

Wie erklären sie sich die Zurückhaltung vieler Jägerinnen und Jäger, wenn es um die Mitteilung von Nach- und Hinweisen von Wolf und Luchs geht?

Diese Zurückhaltung herrscht meist in Gebieten, in denen es bisher wenig Kontakt zur Jägerschaft gegeben hat oder eine Zusammenarbeit durch andere Themenschwerpunkte aus dem Themenbereich „Forst-Jagd-Landnutzung“ vorbelastet sein könnte. In Regionen, in denen sich dauerhaft große Beutegreifer niederlassen und ein kontinuierlicher Austausch gewährleistet ist, weicht die Zurückhaltung häufig einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Jägerschaft, Wildtierbeauftragten und FVA. 

Welche Nach- und Hinweise von Wolf und Luchs sind für Sie relevant?

Hier sind alle Hinweise relevant die Rückschlüsse auf die Präsenz von Luchs und Wolf liefern. Dazu gehören Sichtungen, Foto- und Videoaufnahmen, Losungen, Fährten, Risse, Rufe, Totfunde, bei denen eine Wolf oder ein Luchs verdächtigt wird. Nähere Untersuchungen der Hinweise oder der Örtlichkeit werden dann im direkten Kontakt und enger Zusammenarbeit durchgeführt, wenn dies erfolgsversprechend ist. In vielen Fällen ist es jedoch bereits an Hand von Bildmaterial möglich zu entscheiden, ob ein Hinweis von einem Großbeutegreifer stammt und eine nähere Untersuchung zielführend ist, oder nicht.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse erhoffen Sie sich von einem engmaschigen Monitoring?

Das Monitoring wird aus verschiedenen Gründen durchgeführt. Der Bund und die Länder sind verpflichtet ein Monitoring für Tierarten eines bestimmten Schutzstatus durchzuführen. Der Wolf ist derzeit in Anhang II und IV der FFH-Richtlinie gelistet, was die EU-Länder zu diesem Monitoring verpflichtet. Ziel ist die Überwachung und Erfolgskontrolle der durchgeführten Naturschutzmaßnahmen (Gesetze). Darüber hinaus ist in allen Regionen mit Wolfsvorkommen ein Wolfsmanagement von Seiten der zuständigen Ministerien notwendig. Ein gutes Wolfsmanagement kann nur auf Basis der vorliegenden Daten geplant werden. So hängt die Qualität des Managements auch zu einem wesentlichen Teil von der Qualität des Monitorings ab. Außerdem besteht sowohl in der Wissenschaft als auch in der Bevölkerung eine große Wissensnachfrage, die durch das Wolfsmonitoring bedient werden kann. Im Vordergrund stehen hier Erkenntnisse über das Verbreitungsgebiet und die Populationsgröße. Ebenso können aber beispielsweise auch Nahrungsanalysen Erkenntnisse über die Ernährung der Tiere bringen. 

In welcher Form kann die Jägerschaft von diesen Erkenntnissen profitieren?

Sowohl die Jägerschaft als auch die FVA erhalten über ein aktives Monitoring, das in direkter Zusammenarbeit gestaltet wird, die besten Informationen über Luchs und Wolf, aber auch andere Wildtiere. Über die Monitoringmethoden werden beispielweise auch Wildtiere dokumentiert, die andernfalls unbekannt blieben.

Die Wissenschaft und das Monitoring sind überall auf die Erfahrung und die Ortskenntnis der Jägerschaft angewiesen.

Die Expertise und Kenntnis beim Erkennen und Dokumentieren von Spuren wie Rissen, Losungen oder Fährten von Wölfen oder Luchsen werden von Personen der FVA beigesteuert. Die Zusammenarbeit führt letztendlich zum besten Ergebnis.

Was soll ich als Jäger konkret tun, wenn ich bei der Jagdausübung auf solche Hinweise stoße? Wie kann ich sie für eine wissenschaftliche Verwertung sichern?

Das hängt davon ab, auf welche Hinweise der Jäger gestoßen ist. In erster Linie ist es wichtig, die Hinweise am Auffindeort zu dokumentieren.  Die konkreten Anforderungen an die Dokumentation und die mögliche Entnahme von Proben werden von den zuständigen Wildtierbeauftragten oder der FVA kommuniziert. Eine direkte Kontaktaufnahme ist daher eine gute Lösung, um gemeinsam über Untersuchungsmöglichkeiten zu sprechen und weitere Vorgehen abzustimmen. Von Interesse sind grundsätzlich alle Hinweise. Die Dokumentation eines Hinweises erfolgt im besten Falle gemäß bundeseinheitlicher Monitoringstandards (Reinhardt et al. 2015). Bei begründetem Verdacht einer Wolfs- oder Luchspräsenz stellt die FVA interessierten Personen aus der Jägerschaft entsprechendes Probenmaterial oder Wildkameras zur Verfügung. 

Was passiert konkret nach meiner Meldung an die FVA?

Nach Aufnahme aller vorhandenen Informationen zu einer Meldung entscheidet sich, ob weitere Untersuchungen sinnvoll sind. Weitere Schritte werden immer in Abstimmung mit den entsprechenden Personen geplant. Die Vorgehensweise ist grundsätzlich abhängig von der Hinweisart. Bei Rissuntersuchungen kommen beispielweise nähere Untersuchungen des Tierkörpers, genetische Untersuchungen oder eine Überwachung des Tierkörpers mit einer Wildkamera in Frage. Bei einem Losungsfund erfolgt die Probennahme durch Jägerinnen und Jäger nach Anleitung, durch den Wildtierbeauftragte oder Mitarbeitende der FVA. Informationen über Wolfsnachweise werden durch die FVA lediglich mit Angabe der Gemeinde kommuniziert. Eine genauere Verortung oder eine Weitergabe von personenbezogenen Daten erfolgt nicht. Ergebnisse, die weitere Untersuchungen erbringen können, werden natürlich ebenso rückkommuniziert. Je nach Situation und Interesse kann sich aus einzelnen Meldungen auch ein weitergehendes Monitoring entwickelt, wenn Luchs oder Wolf weiterhin in der Region sein könnten.

Muss ich mir sorgen machen, dass meine Mitteilung Ruhestörungen im Revier mit sich bringen?

Nein, weitere Monitoringmaßnahmen, wie z. B. das Suchen nach Losungen, finden in Absprache mit dem Jagdpächter und/oder weiteren verantwortlichen Personen statt. Die aktive Hinweissuche erfolgt darüber hinaus sowieso ausschließlich auf Wegen. Ein Abweichen von der Suche entlang von Wegstrukturen ist hier selten sinnvoll. Sollte sich ein Hinweis beim Wolf als ein sogenannter C1-Nachweis (eindeutiger Nachweis) herausstellen, wird dies häufig über eine Pressemitteilung des Umweltministeriums veröffentlicht. Die Standortangabe bei der Veröffentlichung bleibt aber auf Gemeindeebene.

Wie gehe ich am besten mit Anfragen von Medienvertretern um, die sich für Luchs und Wolf in meiner Gegend interessieren?

Das bleibt jeder Person selbst überlassen. Der Kontakt zu einzelnen Personen wird Medienvertretern von der FVA nur dann übermittelt, wenn dies von der meldenden Person gewünscht ist. Gerne kann bei fachlichen Fragen an die FVA verweisen werden.

Gibt es bereits neue Erkenntnisse zu „Toni“, dem besenderten Luchs-Männchen aus dem Nordschwarzwald? Was kann man zum jetzigen Zeitpunkt über sein räumliches Verhalten sagen?

Das Tier ist seit ca. 2 Monaten besendert. „Toni“ hält sich nach wie vor im Nordschwarzwald auf. Seine Bewegungen beschränken sich aktuell auf den Landkreis Rastatt. Geortet wird er im Murgtal und angrenzenden Bereichen. Auch hier wird großer Wert auf Abstimmung und Kooperation mit Jägerschaft und dem Forst gelegt.

Was möchten Sie der Jägerschaft im Hinblick auf eine effiziente Kooperation mit der Wissenschaft abschließend mit auf den Weg geben?

Die wissenschaftliche Begleitung der Situation von Wolf und Luchs in Baden-Württemberg basiert nicht auf ideologischen Einstellungen, Verteufelungen oder Romantisierungen.

Ziel des offiziellen Monitorings ist es, wissen über die Tiere, deren Verhalten und ihre Verbreitung zu generieren und es allen Interessierten zugänglich zu machen. Personen, die eng mit dem Landleben oder der Beschäftigung in der Natur in Verbindung stehen, sind ein wichtiges Bindeglied, um diese Information zu ermöglichen. Die Ergebnisse des Wolfsmonitorings (sichere Nachweise) werden beispielsweise über die Homepage des Umweltministeriums allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

Die FVA bittet darum, Luchshinweise möglichst rasch zu melden:
Tel. 0761 4018-274 oder email info@wildtier-monitoring.de

Buchempfehlung:

Er ist da. Der Wolf kehrt zurück. Wolfsrudel in unseren Wäldern. Im Fadenkreuz der Interessen: zwischen Gefahr für Mensch & Landwirtschaft und Erfolg des Naturschutzes. Fakten, Erfahrungen, Konzepte.

Autor: Klaus Hackländer

Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München. 1. Auflage, 2020.

Kontakt FVA:
Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg
Abt. Wald & Gesellschaft , AB Wildtierökologie
Wonnhalde 4
79100 Freiburg
Tel.: 0761 4018-274
Email: info@wildtiermonitoring.de

Ansprechpartner FVA:
Felix Böcker, Philipp Schmieder

Weitere Informationen:
www.fva-bw.de
www.ag-luchs.de
www.wildtiere-bw.de

Beitragsfoto: Jannik Selz auf unsplash

0 Kommentare zu “Wolf im Revier: Keine Berührungsängste mit wissenschaftlichen Institutionen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert